Endless: Roman (German Edition)
war nichts. Er hätte sich nur gewünscht, dass sie mehr Zeit miteinander gehabt hätten, um sich für all das Unrecht entschuldigen zu können, das er ihr angetan hatte.
Danach drehte sie sich um, anscheinend unverletzt, und blickte auf ihn herunter. Irgendwie waren ihre Haare wieder so braun, wie sie gewesen waren, als er sie kennengelernt hatte. Sie waren lang und wehten im leichten Wind.
Der Himmel über ihm war blau, und kleine weiße
Schäfchenwolken zogen darüber hin. Das war wundervoll. Seit fünfhundert Jahren hatte er nicht mehr unter einem blauen Himmel liegen können. Er holte tief Luft. Auch das hatte er seit Jahrhunderten nicht mehr getan. Es fühlte sich großartig an.
»Lucien«, sagte Meena mit Tränen in den Augen, »es tut mir so schrecklich leid.«
Er wusste nicht, wofür sie sich entschuldigte. Er war doch derjenige, der sie viele Male verletzt hatte.
»Nein, mir tut es leid«, entgegnete er und hob die Hand, um ihr eine Strähne aus dem Gesicht zu streichen.
»Du warst der Einzige, der ihn töten konnte«, sagte Meena. »Aber nur indem du selber stirbst. Das kommt mir nicht fair vor.«
»Doch, das ist es«, versicherte er ihr. »Er war der Schöpfer des Bösen in meinem Vater, und das ist nur mit Gutem auszulöschen. Er wusste das … und du auch. Ich musste mein Leben opfern, damit seines vernichtet werden konnte. Ich wollte nicht, dass du verletzt wirst. Früher einmal habe ich es vielleicht gewollt, aber jetzt nicht mehr.« Lucien schaute sie an. Sie war so schön. Er wusste nicht, wie sie so miteinander sprechen konnten. Er hätte doch eigentlich zu Staub zerfallen müssen.
»Ich weiß«, sagte sie. »Du hast die richtige Wahl getroffen, Lucien. Danke.« Sie beugte sich über ihn, um ihn zu küssen.
Vögel zwitscherten. Es war perfekt.
Er war glücklich.
42
»Meena, nein!«
Alaric verstand die Welt nicht mehr. Lucien Antonescu hatte ihn gebeten, ihn zu erschießen, und Alaric hatte sich geweigert, weil das Risiko zu groß gewesen wäre, dass er stattdessen Meena traf.
Und jetzt drehte Meena durch und versuchte, sich selbst erschießen zu lassen.
Alaric versuchte zwar, Mauricio rechtzeitig zu erreichen, um ihn aufzuhalten, doch er wusste eigentlich, dass es keinen Zweck hatte. Meena war bereits tot. Niemand konnte es überleben, wenn vier scharfe Pfeile aus einer automatischen Armbrust direkt ins Herz trafen.
Aber … Meena überlebte es. Weil Lucien Antonescu vorher bei ihr war.
Und irgendwie war es ihm gelungen, sich zwischen sie und die Pfeile zu werfen. Eigentlich war das physikalisch unmöglich, wenn man bedachte, wie schnell die Pfeile flogen und aus welcher Entfernung Mauricio sie abgeschossen hatte.
Alaric hörte, wie Henric schrie: »Nein!«
Das lag daran, dass Antonescus Körper, nachdem die Pfeile eingedrungen waren, auf einmal in ein blendend weißes Licht getaucht war. Es schien von ihm auszugehen
und breitete sich rasch aus. Es war wie der Videofilm über eine Atombombenexplosion, den Alaric einmal gesehen hatte. Das Licht breitete sich einfach immer weiter aus.
Dieses Licht jedoch schien den Menschen nichts anzutun … nur den Dämonen. Als es schwächer wurde, waren nämlich von ihnen nur noch kleine Aschehäufchen übrig. Und deshalb landete Alaric – der gleichzeitig mit Lucien zum Sprung angesetzt hatte – in dem Aschehäufchen, wo eigentlich Antonescu hätte stehen müssen.
Aber jetzt stand da nur noch Meena. Sie weinte.
Alaric verstand nichts mehr.
Und dann erwachte auf einmal der ausgetrocknete alte Brunnen, der noch nie auch nur einen einzigen Tropfen Wasser produziert hatte, zum Leben, und kristallklares Wasser plätscherte aus sämtlichen Öffnungen … Fast wie beim Wunder von Lourdes.
Alaric stellte jedoch keines dieser außergewöhnlichen Ereignisse in Frage. Er schlang seine Arme um Meena, und während das Wasser aus dem Brunnen über sie und alle Aschehäufchen wegspülte, zog er sie an sich und begann ebenfalls zu weinen.
Und es war ihm egal, ob es einer sah.
43
Sie wollten sie wieder einstellen.
Sie boten ihr ein doppelt so hohes Gehalt und einen Bonus.
Meena sagte, sie brauche Zeit, um darüber nachzudenken.
»Was gibt es da nachzudenken?«, fragte Jon. Er lag auf der Couch im Wohnraum und aß Pizza. »Wir könnten uns eine größere Wohnung nehmen. Zwei Badezimmer. Einen Balkon. Mit Aussicht.«
»Beteiligst du dich an der Miete?«, wollte Meena von ihm wissen.
»Jetzt, wo ich endlich solvent bin«, antwortete Jon,
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