Endless: Roman (German Edition)
vergessen hatte, welche Anstrengungen die Geheime Garde unternommen hatte, um die Wohnung vor Vampiren zu schützen. Über jedem Fenster und jeder Tür hing ein Kruzifix. Knoblauchstränge baumelten über ihrem Bett. Bruder Bernard, der Pfarrer der Kirche der heiligen Klara, hatte den Ort gesegnet, als sie eingezogen war, und in jede Ecke Weihwasser gesprenkelt. Schwester Gertrude war kürzlich erst mit geweihten Kerzen vorbeigekommen.
Lucien hatte aufgestöhnt, als sie die Wohnung betreten hatten.
»So schlimm ist es ja nun auch nicht«, hatte Meena gesagt.
»Das sagst du«, war seine Antwort gewesen.
Aber dann war da auch noch ihr Hund. Noch bevor sie gewusst hatte, dass es Vampire gab, hatte Meena bereits eine geheime Waffe im Kampf gegen die Dämonen besessen. Irgendwie hatte sie gerade den Zwergspitzmischling aus dem Tierheim in Manhattan erwischt, der besonders empfindlich auf den Geruch der Untoten reagierte. Oder vielleicht hatte der Hund sich auch für sie entschieden. Einer von ihnen hatte jedenfalls den anderen ausgesucht, weil er vielleicht eine dumpfe Ahnung hatte, was in der Zukunft passieren würde.
Jack Bauer – er hieß so, da sein Angstlevel nur noch von seiner Entschlossenheit, die Welt von allem Bösen zu befreien, übertroffen wurde – sprang sofort aus seinem Körbchen, als Lucien die Wohnung betrat, fletschte die Zähne und begann zu knurren, als ob sich vor ihm im Wohnzimmer die Apokalypse abspielen würde.
Deshalb musste Meena ihn im Badezimmer einschließen. Sie versorgte ihn mit seinem Wassernapf und seinem Lieblingskauspielzeug, aber er begann trotzdem sofort zu winseln, weil er den ganzen Spaß verpasste.
Als sie ins Schlafzimmer kam, wohin Lucien sich vor dem kleinen Hund geflüchtet hatte, sah sie, dass er auf ihrer hellblauen Steppdecke zusammengebrochen war. Er hatte einen Arm über die Augen gelegt, um sich vor dem Knoblauch an der Decke zu schützen. Die restlichen Wände – ebenfalls hellblau – waren leer, da Meena so viel zu tun gehabt hatte, dass sie es bisher noch nicht geschafft hatte, die Wohnung richtig einzurichten.
Sie holte tief Luft und sank neben ihm auf das Bett. Der weite rote Rock ihres Kleides, der nach dem Gerangel mit David ein wenig zerknittert war, legte sich auf sie beide.
»Lucien, du musst es mir sagen. Was ist los?«, fragte sie. »Bist du verletzt? Brauchst du etwas?«
Das war eine blöde Frage, schließlich hatte sie keine Blutvorräte in der Wohnung herumliegen. Und ihren eigenen Hals wollte sie ihm nicht anbieten.
Aber sie hatte auch nicht die leiseste Ahnung, was sie sonst sagen sollte.
»Ich glaube nicht«, antwortete er und nahm den Arm von den Augen. Seine dunklen Augen senkten sich in ihre, und er lächelte sein herzzerreißendes Lächeln. »Dir wieder so nahe zu sein ist schon genug. Für den Augenblick jedenfalls. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mich in meinen schwächeren Momenten frage, ob es so klug ist, eine Frau zu lieben, die bei einer Organisation arbeitet, die entschlossen ist, meine Leute zu vernichten. Glaub mir, wenn ich könnte, würde ich dich lieber nicht lieben.«
Meena stockte der Atem. Sie hatte vergessen, wie es war, wenn ein Mann zu ihr sagte, dass er sie liebte.
Oh, klar, gelegentlich deuteten Männer an, dass sie mit ihr schlafen wollten. Und manchmal – wie bei David – schien sogar eine Beziehung daraus zu werden.
Aber letztendlich war es dann doch nicht so. Man brauchte ja bloß an ihre Beziehung mit Alaric Wulf zu denken. Er hatte sie – leidenschaftlich – ein einziges Mal geküsst.
Allerdings war er damals auch vom Blutverlust halb bewusstlos gewesen. Seitdem hatte er es nie wieder versucht.
Er war sogar in der letzten Zeit ziemlich reserviert gewesen, wenn man einmal davon absah, dass er sie zum Abendessen eingeladen hatte, in seiner Wohnung.
Das war so eine offensichtliche Aufforderung zu unverbindlichem Sex, dass Meena beleidigt gewesen war. Sie hatte geglaubt, ihm ein bisschen mehr zu bedeuten. Das konnte er doch von jedem dummen Mädchen bekommen, das er irgendwo in einem Nachtclub in Manhattan kennenlernte. Wenn er sich nicht mehr anstrengte, um ihr zu zeigen, dass sie ihm etwas bedeutete, dann würde sie sich gar nicht mit ihm abgeben.
Andererseits hatte Alaric Wulf sich mehr oder weniger selber großgezogen. Es war also möglich, dass er es einfach nicht besser gewusst hatte. Aus diesem Grund hatte sie die Einladung nur höflich abgelehnt, anstatt ihm zu sagen, er solle
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