Endless: Roman (German Edition)
Straße ein. Paare führten ihre Hunde spazieren, und an den Ampeln warteten Familien darauf, dass es Grün wurde, damit sie die Straße überqueren konnten. Alle wollten
zum San-Gennaro-Straßenfest, das gerade eben in Little Italy, ein paar Blocks entfernt, angefangen hatte. Alle lachten und genossen den warmen Spätsommerabend.
Niemand achtete auch nur im Geringsten auf den Mann, der den Arm um das Mädchen mit dem weißen Taschentuch um den Hals gelegt hatte. Niemand schien zu bemerken, dass sie unter dem Jackett den Arm um seine Taille geschlungen hatte oder dass sie wahrscheinlich verfolgt wurden.
»Sind sie immer noch hinter uns?«, fragte er angespannt.
Meena warf einen Blick über die Schulter.
»Ich weiß nicht«, erwiderte sie. »Ich konnte sie nicht gut sehen. Du?«
Er schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich haben sie denjenigen hinter uns her geschickt, der deinen Freund verwandelt hat.«
»Dann …«, sagte sie und schaute auf die lächelnden Leute, die den ersten Abend des Wochenendes genossen. »Vampire.«
Es war kaum zu glauben, dass an einem so schönen, warmen Abend etwas so Böses existierte.
Aber sie hatte gerade einen getötet. Und ihr Arm lag um die Taille eines anderen.
»Es ist keiner aus meinem Clan«, erklärte er. »Deine Freunde in deinem neuen Job haben ganze Arbeit geleistet, um fast alle auszulöschen.«
»Du hast zu David gesagt, du herrschst über alle Dämonen auf dieser Seite der Hölle«, sagte Meena, ohne auf seine sarkastische Bemerkung einzugehen. »Wieso kann dann einer von ihnen so etwas tun, ohne dass du davon weißt?«
Luciens dunkle Augen blitzten bedrohlich.
»Ich war in der letzten Zeit … nicht so verfügbar«, entgegnete er.
Sie war sich nicht sicher, ob er so barsch antwortete, weil sie einen wunden Punkt getroffen hatte. Sie standen nämlich mittlerweile an einer Kreuzung, und die rote Ampel hinderte sie daran, die Straße zu überqueren. Ein Bus dröhnte vorbei, gefolgt von einem Dutzend Taxis.
Sie spürte Luciens Anspannung. Aufmerksam blickte er sich um.
Meena bemerkte zum ersten Mal die bläulichen Schatten unter seinen dunklen Augen, die jetzt in der hellen Beleuchtung der belebten Straße viel deutlicher hervortraten.
Sie war sich nicht ganz sicher, was es für einen Vampir bedeutete, wenn er Schatten unter den Augen hatte. Dieses Thema war während ihrer Ausbildung bei der Geheimen Garde nie erwähnt worden.
»Lucien, geht es dir wirklich gut?«, fragte sie. »Ich meine … bist du krank oder so?«
Er warf ihr einen gekränkten Blick zu. »Ich habe dir doch gesagt, dass es mir gut geht«, erwiderte er.
»Na ja«, sagte Meena, »ich meine ja nur. Du kommst mir so verändert vor … nicht böse oder so«, fügte sie hastig hinzu.
»Wie schade«, antwortete er. »Und dabei bemühe ich mich so sehr, böse zu sein.«
Er lächelte sie an. Und sie wünschte sofort, er hätte es nicht getan.
Denn Lucien Antonescus Lächeln rief Reaktionen bei ihr hervor, die ein Mädchen, das für eine Organisation
arbeitete, die Vampire vernichtete, besser nicht verspüren sollte.
Aber es gab immer noch etwas Menschliches in ihm. Oder vielleicht sogar etwas, das besser war als menschlich.
»Darüber solltest du keine Witze machen«, sagte sie und schob sich nervös die Haare aus der Stirn. »Ich habe es ernst gemeint, als ich eben gesagt habe, dass ich glaube …«
In diesem Moment prallte ein Junge – der in einer Gruppe von Schulfreunden über den Bürgersteig schlenderte – gegen Meena, als ob er sie überhaupt nicht gesehen hätte.
»Uff«, sagte Meena. Lucien zog sie schützend an sich.
Der Junge taumelte und fiel hin. »Was zum Teufel?«, beschwerte er sich gutmütig, als seine Freunde ihn auslachten. Anscheinend hatte er sich nicht wehgetan, er war wohl nur ein wenig betrunken.
»Oh, Entschuldigung«, sagte Meena zu ihm, obwohl ja er in sie hineingerannt war.
Der Junge antwortete nichts, sondern ließ sich lachend von seinen Freunden auf die Beine helfen. Lucien zog Meena rasch weg von der Gruppe, und sie gingen weiter den belebten Bürgersteig entlang.
»Das war merkwürdig«, sagte Meena. »Er scheint mich überhaupt nicht gesehen zu haben.«
»Er konnte dich auch nicht sehen«, erwiderte Lucien.
»Er konnte mich nicht sehen?« Erschreckt blickte Meena ihn an. »Wie meinst du das? Wieso konnte er mich nicht sehen?«
»Im Moment kann uns niemand sehen«, erklärte Lucien mit ausdrucksloser Miene. »Wir befinden uns unter
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