Endless: Roman (German Edition)
wo Lucien ist.«
Eigentlich stimmte das nicht so ganz. Mary Lou hatte etwas von einer Höhle gesagt. Doch sie hatte nicht vor, diese Information weiterzugeben. Nicht nur, weil Alaric sie gewarnt hatte, sondern weil sie tief im Herzen nicht glaubte, dass der Priester die Wahrheit sagte.
Bruder Henriques Gesichtsausdruck wurde hart.
»Ich verstehe«, sagte er. »Darf ich Ihnen einen Rat geben,
Miss Harper? Wählen Sie Ihre Freunde besser aus. Letztendlich scheinen sie alle kein gutes Ende zu nehmen. Und ich würde ungern eines Tages das Gleiche über Alaric Wulf sagen müssen.«
Meena blinzelte. Hatte er gerade tatsächlich eine Drohung gegenüber Alaric ausgestoßen? Sie war sich nicht ganz sicher, denn eine Sekunde später lächelte er sie an, so charmant, wie er Genevieve Fox im Fernsehen angelächelt hatte.
»Wir sehen uns im Hauptquartier«, sagte er.
Damit schlenderte er davon, und sie saß mit offenem Mund im Van und starrte ihm nach.
Sie war sich beinahe sicher, dass sie direkt mit ihr zum Fluss fahren und sie erschießen würden. Und dann würden sie sie – zusammen mit Alaric – ins dunkle Wasser werfen.
Doch das taten sie natürlich nicht. Sie brachten sie direkt zum Hauptquartier der Geheimen Garde in der Kirche der heiligen Bernadette. Jetzt hätte sie eigentlich beruhigt sein müssen, aber das war seltsamerweise nicht so. Den Van, in den sie Alaric verfrachtet hatten, sah sie nicht, und sie hörte auch seine Stimme nirgendwo. Eine schlimme Vorahnung stieg in ihr auf. Unabhängig davon, ob Lucien mit seiner Verschwörungstheorie innerhalb der Geheimen Garde recht hatte, zwischen Alaric und Bruder Henrique bestand keine Liebe.
Und nun schien Bruder Henrique in eine Machtposition befördert worden zu sein. Nicht dass sie glaubte, er würde diese Macht missbrauchen … aber was hatte er gemeint, als er sagte, er wolle nicht, dass Alaric etwas Schlimmes
passierte? Sollte das heißen, dass ihm ohne Meenas Hilfe etwas Schlimmes passierte? Das musste wohl so sein. Es hatte ja jeder gesehen, dass Lucien Schlimmes mit ihm vorhatte (aber nur weil Alaric versucht hatte, ihr zu helfen).
Der Priester konnte doch nicht gemeint haben, dass er Alaric etwas antun wollte? Meena hatte nicht das Gefühl, Alaric wäre in Gefahr – zumindest nicht in tödlicher Gefahr. Doch sie hatte keine Ahnung, wo er steckte. Sie war in einem Krankenzimmer der ehemaligen Schule eingeschlossen, das in früheren Zeiten bestimmt genutzt worden war, um Kinder mit ansteckenden Krankheiten von den anderen Schülern zu isolieren. Es gab keine Möglichkeit zu entkommen.
Und – sollte jemand daran denken, sie retten zu wollen – auch keinen Weg in das Zimmer hinein, abgesehen von der Tür. Und die war verschlossen.
Aber anscheinend dachte sowieso niemand daran, sie zu retten, denn Stunden vergingen, ohne dass sich der Türgriff bewegte.
Das Gebäude war natürlich absolut dämonensicher, deshalb würde Lucien auch gar nicht hereinkommen.
Das war zweifellos eine Erleichterung, wenn man bedachte, wie er sich im Metropolitan Museum of Art aufgeführt hatte. Als sie gesehen hatte, wie Rauch von seiner Haut aufstieg, weil er mit dem Weihwasser in Berührung kam, war sie immer noch fassungslos über sein Verhalten. Sie erkannte ihn nicht wieder. Was hatte er sich nur dabei gedacht, sie entführen zu wollen?
Meena hatte viel Zeit, darüber nachzudenken. Sie war
ganz allein und hatte nichts anderes zu tun. Sie war zwar nicht mehr gefesselt, aber sie hatten ihr das Handy weggenommen. Irgendwann musste sie wohl vor Erschöpfung eingeschlafen sein, denn auf einmal wurde sie wachgerüttelt.
»Nein!«, schrie sie. »Ich weiß es nicht! Ich schwöre, ich weiß nicht, wo er ist.«
»Das ist unglückselig«, sagte Bruder Henrique und zog sich einen Stuhl an den Untersuchungstisch heran, auf den sie sich gelegt hatte. »Ich dachte, Sie hätten vielleicht nachgedacht und Ihre Meinung geändert.«
Meena schüttelte den Kopf.
»Nein«, entgegnete sie. »Und Sie können mich nicht hier festhalten. Ich verlange, freigelassen zu werden. Wo ist Alaric?«
»Ich habe durchaus das Recht, Sie hier festzuhalten«, erwiderte Bruder Henrique. »Sie halten wichtiges Beweismaterial zurück, das wir zur Verfolgung des meistgesuchten Verbrechers auf der ganzen Welt brauchen. Aber ich bin nicht hier, um mit Ihnen zu streiten. Ob Sie es glauben oder nicht, eigentlich stehe ich auf Ihrer Seite.«
»Ich glaube es nicht«, sagte Meena. »Wenn Sie auf meiner
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