Endless: Roman (German Edition)
Seite stünden, hätten Sie mich nicht hier eingesperrt.«
»Das ist zu Ihrer eigenen Sicherheit«, erklärte Bruder Henrique. »Ihnen ist doch wohl klar, dass Lucien Antonescu Sie heute Nacht verwandeln wollte, oder nicht?«
Meena warf ihm einen finsteren Blick zu. »Das würde er niemals tun«, antwortete sie. Allerdings hatte er es schon einmal versucht. Aber sie hatten darüber gesprochen, und er hatte eingewilligt, es nie wieder zu tun. Hatte er seine
Meinung geändert? Sie weigerte sich, das zu glauben. Und selbst wenn, woher wollte Bruder Henrique das wissen? »Nicht ohne meine Zustimmung.«
»Das versuche ich Ihnen doch die ganze Zeit zu sagen«, entgegnete Bruder Henrique. »Er hat jetzt das Buch, und alles ist anders. Er ist anders. Mit diesem Buch in seinem Besitz wird Lucien Antonescu unbesiegbar werden. Verglichen mit seinem Vater … nun, das wäre so, als ob man ein Baby mit einem wildgewordenen Bullen vergleicht. Dieses Buch macht ihn zum mächtigsten Wesen, das die Welt jemals gesehen hat. Vielleicht sogar … all mächtig.«
Meena starrte ihn an. In ihrem Traum hatte sie nichts Böses in dem Buch erkannt. Und als sie es im Metropolitan Museum of Art gesehen hatte, war ihr auch nichts aufgefallen.
Doch Lucien hatte sich definitiv verändert. Allerdings hatte er sich schon verändert, bevor er das Buch in Händen gehabt hatte.
»Ich verstehe nicht, wovon Sie reden«, sagte sie schließlich. »Ich dachte, Lucien sei bereits allmächtig. Er ist doch schließlich der Fürst der Finsternis. Wie viel mächtiger – oder böser – kann er denn noch werden?«
Bruder Henrique schüttelte den Kopf. »Sie haben sicher von den entsetzlichen Taten gehört, die Luciens Vater an seinem eigenen Volk begangen hat. Die Zehntausende von Männern, Frauen und Kindern, die er bei lebendigem Leib gepfählt hat, um seine Feinde einzuschüchtern. Davon rede ich.«
Meena war mittlerweile so müde und verwirrt, dass sie
gar nichts mehr begriff. Lucien war nicht so. Es war einfach nicht möglich.
»Wenn das Buch bei Lucien so etwas bewirken kann«, sagte Meena, »warum hat der Vatikan es dann nicht in Rom gelassen?«
Bruder Henrique verzog finster das Gesicht.
»Nicht jeder glaubt so stark wie ich daran, dass so ein Büchlein solche Macht über den Herrscher der Finsternis haben kann. Sie glauben, er will es zurückhaben, weil es seiner Mutter gehört hat, und sie waren bereit, es als Köder zu benutzen, um ihn aus seinem Versteck zu locken … aber es war ihnen nicht wirklich klar, was es bedeutet, dass es jetzt in seine Hände gefallen ist. Dass Sie daran glauben, sehe ich Ihnen an, Meena. Sonst hätten Sie auch niemals davon geträumt. Sie wissen von seiner Macht über ihn … Sie glauben daran. Und Sie können den Gang der Ereignisse aufhalten … indem Sie uns einfach sagen, wo er ist.« Bruder Henrique machte ein trauriges Gesicht. »Glauben Sie mir, Meena, ich weiß, wie schmerzlich es manchmal sein kann, das Richtige zu tun, weil es nicht immer leichtfällt. Aber ich habe über die Jahre gelernt, dass es Wichtigeres gibt als unsere egoistischen Bedürfnisse. Und wenn Sie ihm wirklich helfen wollen, sagen Sie mir, wo er ist.«
Meena seufzte.
»Sie haben recht«, sagte sie.
Bruder Henriques Miene hellte sich auf. »Ja?« »Mit dem Buch«, fuhr sie fort. »Ich glaube tatsächlich, dass es wichtiger ist, als irgendjemand sonst anzunehmen scheint. Aber bei Lucien irren Sie sich. Er ist nicht böse.«
Bruder Henrique schaute sie entgeistert an. »Miss Harper …«, begann er.
»Ich habe Vertrauen in ihn. Auch wenn ich die Einzige bin«, sagte Meena. »Er wird schon das Richtige tun. So, und wo ist eigentlich Alaric?«
Auf Bruder Henriques Gesicht zeichnete sich eine Wut ab, die Meena noch nie bei einem Geistlichen gesehen hatte. Es dauerte eine Zeitlang, bis er sich so weit beruhigt hatte, dass er sprechen konnte. Dann sagte er nur: »Gute Nacht, Miss Harper.«
Er verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich ab.
Meena konnte Bruder Henrique zwar überhaupt nicht leiden, doch er tat ihr fast ein bisschen leid. Offensichtlich war er in eine Position befördert worden, für die er nicht geeignet war. Wer mochte ihn wohl empfohlen haben?, fragte sie sich. Denjenigen sollte man feuern. Verdient hätte er es.
Im Morgengrauen öffnete sich die Tür, und Dr. Fiske, Alarics Therapeut, kam herein. Mit verlegenem Lächeln verkündete er, dass er in Abraham Holtzmans Abwesenheit zum zeitweiligen
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