Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Endlich gefunden

Titel: Endlich gefunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Katherine Green
Vom Netzwerk:
ängstliches Gesicht, bald an diesem bald an jenem Fenster des altmodischen Hauses gegenüber auftauchen. Sie schien in großer Unruhe und steckte manchmal den Kopf weit hinaus, um nach ihrem Herrn zu spähen, wie ich glaubte.
    Es war für sie damals überhaupt eine Zeit der heftigsten Aufregung. Häufig erschien sie auf dem Polizeibureau, wo sie vergeblich Nachrichten von dem Mädchen zu finden hoffte, dessen Schicksal ihr so sehr am Herzen lag. Als sie einmal Gryce gegenüber ihre Befürchtung äußerte, daß ihre junge Freundin nicht mehr am Leben sei, versicherte ihr dieser, die Polizei würde jedenfalls Kunde davonerhalten haben, außer wenn sie heimlich getötet und beiseite geschafft worden wäre.
    Dies schien ihr einen kleinen Trost zu gewähren, aber beim Fortgehen übermannte sie noch einmal die Verzweiflung, und sie beteuerte, die Sache in ihre eigene Hand nehmen zu wollen, wenn sich in den nächsten zwei Wochen keine Spur der Vermißten finde. Was dann geschehen werde, sagte sie nicht, aber ihre Miene weissagte nichts Gutes.
    Auch heute war sie wieder rastlos im Hause umhergeirrt und hatte auf die Schritte des Mannes gelauscht, der gleichfalls keine Ruhe fand. Er kehrte später als gewöhnlich von seinem Ausgang heim. Kaum hatte sie ihn an der Ecke erblickt, so verbarg sie sich rasch hinter dem Vorhang und sah, wie er mit müden Tritten und niedergeschlagener Miene die Stufen hinaufkam und in das Haus trat.
    Am nächsten Tage war ich zum Glück wieder wohl genug, um mein Unternehmen fortsetzen zu können. Dies Rätsel zu lösen, dem Geheimnis auf den Grund zu kommen, war jetzt mein einziger Ehrgeiz, und ich widmete mich meiner Aufgabe mit wahrem Feuereifer.
    Nachdem ich eine neue Verkleidung angelegt hatte, eilte ich ohne Zaudern Herrn Blake nach. Ich achtete keine Beschwerde, obgleich ich wußte, daßein weiter mühseliger Marsch an dem kalten Morgen vor mir lag, der höchst wahrscheinlich abermals mit einer Enttäuschung enden würde. Aber diesmal kam es anders. Wir waren noch nicht weit gegangen, als Blake einen Trambahnwagen anrief, welcher gerade die Madison-Avenue herunterkam.
    Ich eilte von der andern Straßenseite herbei, um denselben Wagen zu besteigen. Aber plötzlich gab Blake seine Absicht wieder auf; er sah ein Mädchen mit einem Korb am Arme daherkommen, trat ihr rasch in den Weg und redete sie an.
    Der Trambahnwagen fuhr zwar ohne mich ab, doch wagte ich mich nicht näher herzu, aus Furcht, Argwohn zu erregen. Ich sah, wie er das Mädchen beiseite zog, das, nach seiner Kleidung zu urteilen, der Hefe des Volkes angehörte. Eine Weile sprach er eifrig mit ihr, dann sah ich sie zusammen die Broomestraße hinuntergehen. Unbekümmert um die Folgen, eilte ich ihnen nach; auf einmal trennte er sich jedoch ganz unerwartet von dem Mädchen und kam mir entgegen, wahrscheinlich um an die Ecke der Madison-Avenue zurückzukehren. Einen Augenblick schwankte ich, was ich tun solle, dann aber überließ ich Blake für heute sich selbst, um dem Mädchen zu folgen, mit welchem er das Gespräch gehabt hatte. Sie war groß, hager undnicht ohne Anmut in Gang und Haltung; das bestärkte mich noch in meinem Entschluß.

    Mit einem flüchtigen Blick eilte ich an ihm vorüber; er schien mir in den letzten fünf Tagen um Jahre gealtert zu sein; dann ging ich dem Mädchen nach, die Broomestraße hinunter. Daß ein Mann, wie Herr Blake, eine Person aus der niedrigsten Volksklasse, die in verblichenem Kattunkleide,mit beschmutzter Kapuze, den zerrissenen Marktkorb am Arm, einherging, auf der Straße anredete, war mir ein unlösbares Rätsel. Ich versuchte sie einzuholen, um womöglich ihr Gesicht zu sehen, aber seit ihrer Unterredung mit Herrn Blake schien sie Flügel bekommen zu haben. Eine Schar schreiender Buben, die einem durchgegangenen Pferde nachliefen, versperrte mir den Weg; ich wollte an ihnen vorübereilen, stolperte, fiel – und mit meiner Jagd war es aus. Von weitem hatte ich nur noch gesehen, wie das Mädchen in ihrer Hast an einer Aschenkiste, die am Randstein stand, hängen blieb und sich rasch losriß. Als ich mich wieder aufgerafft hatte, war die Flüchtige verschwunden, an der Kiste aber, zu der ich hinging, entdeckte ich ein verblichenes Stück Kattun, das, wie ich leicht erkannte, zu dem alten Kleiderrock gehört haben mußte, hinter welchem ich noch soeben hergelaufen war. Hierin bestand die einzige Ausbeute, die ich von meinem, im übrigen höchst unbefriedigenden Tagewerk heimbrachte. Ich legte

Weitere Kostenlose Bücher