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Endlich wieder leben

Endlich wieder leben

Titel: Endlich wieder leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Hirsch
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zwangsläufig waren sie auch in der SBZ selbstbewusster geworden. Und sie waren wie in den Westzonen in der Überzahl: Die Volkszählung am 1. Dezember 1945 registrierte 9,6 Millionen Frauen bei einer Gesamtbevölkerung von 16,2 Millionen. In der Altersgruppe der 18- bis 30-Jährigen kamen auf 100 Männer 297 Frauen, in der Altersgruppe der 30- bis 40-Jährigen 241. Insgesamt betrug der Frauenüberschuss 3 Millionen. 47
    Unterschiede zu den westlichen Besatzungszonen ergaben sich in erster Linie durch das Verhalten der Besatzungsmächte. Schon auf dem Vormarsch der Roten Armee war es in Ostpreußen, Pommern, Schlesien und Brandenburg zu zahlreichen Einzel- und Massenvergewaltigungen durch sowjetische Soldaten gekommen. In der SBZ und der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin, so ein SED-Funktionär 1947, sei etwa jede zwanzigste Frau vergewaltigt worden. Publikationen
im Westen sprachen sogar von bis zu neun von zehn Berlinerinnen. Wenn auch nur etwa sieben Prozent der Frauen in Berlin missbraucht worden sein sollten (wovon heute in der Regel ausgegangen wird), ergaben sich daraus bei 1,4 bis 1,8 Millionen Frauen etwa 100 000 bis 125 000 Vergewaltigungsopfer. 48
    Viele Frauen wurden schwanger; wahrscheinlich neunzig Prozent der Föten wurden abgetrieben. »Russenkinder« waren für die betroffenen Frauen ein Grund der Scham und für zurückkehrende Ehemänner häufig ein Scheidungsgrund. In der DDR war das Thema offiziell unterdrückt, in der Bundesrepublik freiwillig verschwiegen. Marta Hillers Tagebuchaufzeichnungen unter dem Titel Eine Frau in Berlin , in denen sie die Lage der Frauen in den ersten zwei Monaten nach dem Einmarsch der Sowjetarmee in Berlin schildert, riefen bei ihrem ersten Erscheinen in Deutschland 1959 vor allem negative Reaktionen hervor. Erst nachdem das Buch 2003 unter dem Titel Anonyma – eine Frau in Berlin erneut aufgelegt worden war, stand es wochenlang auf der Bestsellerliste und wurde verfilmt.
    Anders als in den westlichen Besatzungszonen wurden in der SBZ und späteren DDR von 1948 an die Soldaten der Besatzungsmacht streng kaserniert. Wenn es nach Begegnungen im Alltag dennoch zu Verhältnissen kam, auf die sich die Frauen teils aus pragmatischen Gründen der Anschaffung, teils aus wirklicher Zuneigung einließen, hatten die Soldaten in der Regel mit sofortiger Versetzung in die Sowjetunion zu rechnen, während die Frauen Anklagen etwa wegen Spionage riskierten.
    Über die tragische Beziehung seiner Mutter Wendelgard mit dem sowjetischen Leutnant Wladimir Jegorowitsch Fedotow hat Ulrich Schacht in dem autobiographischen Roman Vereister Sommer berichtet. 49 Die Besiegte und der Sieger hatten sich im Sommer 1949 auf einem Tanzvergnügen in Wismar kennen und lieben gelernt, im Sommer 1950 war Wendelgard Schacht schwanger geworden. Eine Heirat und eine gemeinsame Zukunft in der Sowjetunion scheiterten am Widerspruch der Besatzungsmacht, eine Flucht in den Westen kam für Wladimir Jegorowitsch Fedotow nicht in Frage.

    Allein die Erörterung der Flucht reichte aus, Wendelgard Schacht zu verhaften und am 18. November 1950 zu zehn Jahren Arbeitslager wegen »Verleitung zum Landeshochverrat« zu verurteilen. Wladimir Jegorowitsch Fedotow hingegen wurde als angeblich »moralisch nicht gefestigte Person« in den äußersten Osten Russlands verbannt, von wo er erst nach fünf Jahren in seine Heimatstadt Moskau zurückkehrte.
    Wendelgard Schacht brachte ihren Sohn Ulrich am 9. März 1951 im Frauenzuchthaus Hoheneck zur Welt. Er kam in ein Kinderheim der Leipziger Volkspolizei, später zu einer Wismarer Familie. Zwar erfuhr Ulrich Schacht im achten Lebensjahr von seiner Mutter über den russischen Vater. Doch erst nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und nach sechs Jahren Recherche konnte er ihn in Moskau an der Seite seines russischen Halbbruders Slawik in die Arme schließen – da war er 48 Jahre alt.
    Ausgerechnet die sowjetische Besatzungsmacht, die gefürchtet und teilweise verhasst war, weil sie ihre Soldaten nicht von der Jagd auf Frauen zurückgehalten hatte, sollte in der Frauenpolitik doch noch eine fortschrittliche Rolle spielen. Am 17. August 1946 verkündete die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) mit dem Befehl Nr. 253 die gleiche Entlohnung von Arbeitern und Angestellten für gleiche Arbeitsleistung – unabhängig von Geschlecht und Alter. »Viele von uns sind Frauen ohne Männer geworden und müssen für die Kinder und die Familie genauso sorgen, wie die

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