Endlich wieder leben
Männer es tun«, erklärte Liesbeth Pätsch aus der Maschinenfabrik Rohrbacher, in der Frauen 25 bis 80 Pfennig weniger Stundenlohn erhielten als die Männer. »Jetzt sind wir Ernährer und Haupt der Familie. Auf uns ruhen alle Lasten. Wir müssen und wollen auch arbeiten, aber wir würden es lieber tun, wenn die Lohntüte am Wochenende etwas dicker wäre. Haben wir das nicht genau so verdient wie die Männer?« 50
Die Frauenpolitik wurde ein Vorzeigeobjekt. Anders als die Bundesrepublik hob die DDR mit Inkrafttreten der Verfassung 1949 sofort »alle Gesetze und Bestimmungen (auf), die der Gleichberechtigung
der Frau entgegenstehen«. Nach dem neuen Familienrecht von 1950 konnten Frauen über das Vermögen, das sie in die Ehe einbrachten, und über das Geld, das sie selbst verdienten, auch selbst entscheiden. Sie konnten ohne Genehmigung durch den Ehemann ein Bankkonto einrichten sowie ihren Beruf und ihren Arbeitsplatz wählen. Ehefrauen, die im Geschäft des Mannes arbeiteten, hatten einen Anspruch auf Lohn. Allerdings, kommentierte Die Frau von heute, sei die Frau auch verpflichtet, »einen Teil zur Aufrechterhaltung des gemeinsamen Haushalts beizutragen; denn Gleichberechtigung heißt gleiche Rechte, aber auch gleiche Pflichten«. 51 Die Mutter trug nun die gleiche Verantwortung für die Kinder wie der bisher allein erziehungsberechtigte Vater. Eine Verbesserung für die Frauen brachte auch die Verordnung über die Eheschließung und -auflösung von 1955. Das Scheidungsverfahren wurde vereinfacht; statt des bis dahin gültigen »Verschuldensprinzips« galt seitdem das »Zerrüttungsprinzip«, das in der Bundesrepublik erst gut zwanzig Jahre später eingeführt wurde.
Die Emanzipation der Frau hatte für die SED eine große ideologische Bedeutung. Erst wenn die wirtschaftliche Abhängigkeit von ihren Ausbeutern aufgehoben sei, so hatten bereits Clara Zetkin und August Bebel in der frühen Arbeiter- und Frauenbewegung argumentiert, könne sich die Frau gesellschaftlich und intellektuell bestmöglich entfalten; die Lösung der »Frauenfrage« sei insofern gebunden an den siegreichen Kampf gegen die kapitalistische Herrschaft. Im Sozialismus galt Arbeit dann als inneres Bedürfnis, als immanenter Bestandteil der sozialistischen Persönlichkeitsentwicklung und als ein »Herzstück sozialistischer Lebensweise« (Lenin).
Für die Einbeziehung der Frauen in die sozialistische Produktion sprachen aber auch handfeste ökonomische Gründe. Der Wirtschaft fehlten die Männer, die im Krieg gefallen waren oder die sich noch in Gefangenschaft befanden. Ihr fehlten auch die Facharbeiter, die sich zunehmend und in großer Zahl in den Westen absetzten. Zudem waren die Familien aufgrund von niedrigen Durchschnittslöhnen oft auf die Zuarbeit der Frauen angewiesen.
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Vollwertige und gleichberechtigte Arbeitskräfte sollten die Frauen in der DDR sein. In den typischen Männerberufen in der Industrie oder auf dem Bau – wie hier in der Berliner Stalinallee – waren sie allerdings nur solange gelitten, wie es an männlichen Arbeitskräften fehlte. Nach Rückkehr der Männer setzte sich wieder die traditionelle Arbeitsteilung durch: Frauen verdienten weniger, trugen die Hauptlast der Hausarbeit und waren weitgehend für die Betreuung der Kinder zuständig.
Frauen übernahmen unter diesen Umständen auch klassische Männerberufe – Titelblätter der Zeitschriften zeigten sie auf dem Mähdrescher und am Schaltrad eines Großbetriebes, vor Hochöfen und als Lokführerinnen. Frauen eroberten ehemalige Männerdomänen in Industrie, Bergbau und der noch nicht mechanisierten Landwirtschaft. Der Staat war stolz auf sie, die Partei stützte sie. Auf Fotos sieht man konzentrierte, leistungsfähige Frauen, für die weibliche Attribute wie schöne Frisuren, Kleidung, Kosmetik keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielten. Das Geschlechtswesen trat hinter der Berufstätigkeit zurück. Auch darin wurden geschlechtstypische Zuweisungen durchbrochen – öfter jedoch aus Not denn aus Überzeugung.
»Der massenhafte Eintritt von Frauen ins Berufsleben und vor allem in traditionelle Männerberufszweige schuf tiefgreifende soziale Probleme, zuallererst für die unmittelbar Betroffenen selbst, die Frauen, die sich die Anerkennung ihrer Leistungsfähigkeit und die notwendigen sozialen und individuellen Voraussetzungen ihrer Berufstätigkeit erst ›erarbeiten‹ und vor Ort erkämpfen mussten«, stellte eine Analyse Ende der
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