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Endlich wieder leben

Endlich wieder leben

Titel: Endlich wieder leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Hirsch
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Teilzeitarbeit, die Versorgung mit Kinderbetreuungs- und Dienstleistungseinrichtungen, Erhöhung des Schwangerschafts- und Wochenurlaubs, Arbeitszeitverkürzungen für berufstätige Mütter bei vollem Lohnausgleich, Babyjahr oder bezahlte Freistellung zur Pflege kranker Kinder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter zu verbessern. Anders als in der Bundesrepublik wurde so für immer mehr Frauen die in der Regel lebenslange Erwerbstätigkeit zur Selbstverständlichkeit. 1989 waren 92 Prozent der Frauen in der DDR erwerbstätig.

    Zum Beispiel Herta Kuhrig
    A m 20. Juli 1946 bin ich in die SED eingetreten. Damals wusste ich noch nicht, dass genau zwei Jahre zuvor ein Attentat auf Hitler verübt worden war, doch das erfuhr ich bald darauf. Deshalb werde ich dieses Datum nie vergessen. Ich war fast sechzehn Jahre alt, hatte Ferien und befand mich bei meinen Eltern im mecklenburgischen Grabow, wo Vater als hauptamtlicher Parteisekretär tätig war. Als ich mich in seinem Büro einmal nach Literatur umsah, stieß ich auf Aufnahmebögen für die Partei. Ich brauchte nicht lange zu überlegen. Ich füllte einen Antrag aus. In diese Tradition war ich hineingeboren: Wir wollen eine bessere Gesellschaft aufbauen, ohne Krieg, ohne Kapitalisten! Später traf ich Genossen, die der Parteibeitritt in ein Dilemma stürzte, weil sie sich gegen die Familie entscheiden mussten. Dieses Problem kannte ich nicht. Die Familie war die Partei, und die Partei war wie meine Familie – da gehörte man bei meiner Herkunft einfach dazu.
    Mein Vater war Kommunist, meine Mutter war Kommunistin, und mein Großvater hatte sich an einer Demonstration zum 1. Mai beteiligt, obwohl er dadurch seine Arbeit in einem Sägewerk verlor. Es imponiert mir bis heute, dass ein Mann mit sieben Kindern seine politische Haltung demonstriert, obwohl er damit die Entlassung riskiert.
    Wir lebten in der Tschechoslowakei, in der Nähe des Bäderdreiecks Marienbad, Karlsbad und Franzensbad. Ursprünglich arme Bauern, Knechte und Mägde hatten Verwandte von Vaters wie Mutters Seite zunehmend Stellen als ungelernte Arbeiter in der Industrie gesucht. Meine Tante lief jeden Tag und selbst bei Schnee und Eis
zwei Stunden zur Neudeker Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei NWK. Die Arbeit begann früh um sechs. Für mich ist sie noch heute eine Heldin, die aus ihrem Leben etwas machte, obwohl sie keine Ausbildung besaß. Auf dem Totenbett gestand sie mir: »Ach, Herterl, heute Nacht musste ich daran denken, wie mir die Tränen die Backen herunter liefen, als ich mit vierzehn die Schule verlassen musste.« Auch für meinen Vater, der nur die einklassige beziehungsweise zweiklassige Dorfschule besucht hatte, besaß Bildung einen sehr hohen Wert. Deswegen war in unserer Familie von Anfang an klar: Das Herterl studiert.
    Die ersten Jahre meines Lebens verbrachte ich bei den Familien meiner Mutter im Dorf Thierbach. Wir hatten weder Strom noch Gas noch Wasser im Haus, aber starke Frauen. Wenn ich nach einem Leitbild suche, dann ist das meine Großmutter. Sie, die kaum lesen und schreiben konnte, hatte das Heft fest in der Hand, auch wenn das nicht nach außen betont wurde. Von ihr und nicht vom Großvater hingen Wohl und Wehe der Familie ab. Sie hat zehn Kinder geboren, sieben davon sind erwachsen geworden.
    Ein Jahr vor meiner Einschulung kam ich zu meinen Eltern nach Chodau, einem Ort zwölf Kilometer entfernt von Karlsbad, wo mein Vater sich mit einer kleinen Bierabfüllerei selbstständig gemacht hatte. Die Stadt zählte etwa 6000 Einwohner, bis auf einige tschechische Staatsbedienstete wohnten hier nur Deutsche. Unter dem Einfluss meines Vaters hätte ich in der dritten Klasse gern das Angebot zum Tschechischunterricht genutzt. »Herterl, soviel Sprachen du sprichst, so oft bist du Mensch«, pflegte er zu sagen. Doch bereits einen Monat nach dem Beginn des Schuljahrs holte uns Hitler »heim ins Reich«. Da war von Tschechisch für sudetendeutsche Kinder keine Rede mehr.
    Mein Vater wurde nicht zur Wehrmacht eingezogen. Sein Lkw war gefragt als Transportfahrzeug für Wirtschaftsunternehmen; er war sozusagen im Wohnort dienstverpflichtet. Und da seine kommunistische Gesinnung in Chodau nicht so bekannt war wie in seinem Heimatdorf, überstand er die NS-Zeit ohne Verfolgung.

    Für meine Eltern war klar, dass sie weder der NSDAP noch irgendeiner ihrer Gliederungen beitreten würden. Ich aber wollte unbedingt zu den Jungmädels gehören. Schon früher hatte ich beim

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