Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Endlich wieder leben

Endlich wieder leben

Titel: Endlich wieder leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Hirsch
Vom Netzwerk:
gewesen, das Studium zum früheren Zeitpunkt abzuschließen und uns nicht mit so etwas wie dem Kinderkriegen zu befassen. Damals konnte er mir tatsächlich ein schlechtes Gewissen machen. Dreißig Jahre später dachte die offizielle Politik schon ganz anders. Da gab es Gesetze zur Förderung von Studentinnen mit Kind und Sonderstudienpläne, damit Frauen studieren und auch Kinder bekommen konnten. Meine Tochter beispielsweise hat während ihres Studiums zwei Kinder bekommen. Auf diese Entwicklung bin ich stolz. Wir hatten in der DDR die aktivste Frauenpolitik von allen sozialistischen Staaten.
    Mit Abschluss des Studiums änderte sich unser Leben einschneidend. Mein Mann und zwei weitere Kommilitonen seines Studienjahres waren auserwählt als junge Mitarbeiter für die Abteilung Landwirtschaft des Zentralkomitees der SED, das heißt, sie sollten nach Berlin. Allerdings zog sich die Überprüfung von Heiner ungewöhnlich lange hin. Zunächst glaubten wir, das läge an seiner Schwester, die sich 1950 in den Westen abgesetzt hatte. Sie war acht Jahre älter als mein Mann und hatte mit meinem Schwager ein kleines Kurzwarengeschäft in Strehla geführt. Da das Ehepaar fürchtete, enteignet zu werden, war es mit seinem vierjährigen Sohn in den Westen abgehauen. Es stellte sich allerdings heraus, dass Bedenken nicht wegen der Schwester existierten, sondern wegen eines Onkels, der in den 1930er Jahren der KPD-Opposition angehört hatte, die
auch nach dem Krieg teilweise in Widerspruch zur sowjetischen Politik stand. Schließlich gab die gute Arbeit von Heiner als FDJ-Sekretär den Ausschlag: Er konnte am 1. August 1952 seine Tätigkeit in Berlin aufnehmen, ich blieb mit unsrer Tochter Bärbel noch bis zu meinem Examen in Leipzig.
    Im Herbst 1952 erreichte mich ein Brief, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich der Hochschule für Ökonomie in Berlin zugewiesen worden sei und mich dort vorstellen solle. (In der DDR bewarben wir uns ja nicht selbst, sondern wurden durch die Absolventenvermittlung zugeteilt.) Ich hatte aber unser Kind zu betreuen und sah keine Möglichkeit, die Arbeit zu übernehmen. Überraschenderweise stellte sich jedoch heraus, dass die Hochschule schon über eine Wochenkrippe verfügte. Ich fing also am 1. November in der Hochschule für Ökonomie an, schon nach knapp zwei Monaten erhielt unsere kleine Familie eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung für 64 Mark in Pankow, weil die Mieter in den Westen abgehauen waren.
    Wir hatten zwar nicht die Ideologie wie in Westdeutschland: Die Frau gehört ins Haus. Aber bei uns galt immerhin: Die Mutter kleiner Kinder sollte bei ihren Kindern bleiben. Ich wäre tatsächlich gern eine Zeitlang bei meiner Babsi geblieben. Ein Platz in einer Wochenkrippe war bei meiner politischen Überzeugung allerdings schwer abzulehnen. Die Politik gab den Wocheneinrichtungen damals noch den Vorzug, weil wir dachten, Kleinkinder sollten nicht täglich zwischen Krippe und Eltern wechseln. Erst später wurde das geändert, weil sich herausstellte, dass es für Kinder förderlicher ist, wenn sie abends nach Hause kommen. Jedenfalls ging ich heulend aus der Wochenkrippe raus, wenn ich das Kind am Montag abgab und erst am Freitag wieder abholen konnte. Ein Trost war nur, dass ich die Kleine noch ziemlich lange stillte, so dass ich sie jeden Mittag sehen konnte.
    Nach der Geburt des zweiten Kindes 1954 entschloss ich mich, ein halbes Jahr zu Hause zu bleiben. Beim zweiten Mal wollte ich das kleine Wunderwerk bewusst wahrnehmen, wollte sehen, wie es sich entwickelt – ein bisschen Wunsch kann schon sein. Am liebsten
hätte ich ein Jahr ausgesetzt, aber da die Genossen dachten, vielleicht spränge ich dann ab in den Haushalt, drängten sie nach einem halben Jahr auf Rückkehr in die Hochschule. Eine Nachbarin, die ein gleichaltriges Kind hatte, fungierte wie eine Tagesmutter, und ich fuhr zwei Tage in der Woche zu meinem Seminar.
    An der Hochschule für Ökonomie wurden wissenschaftliche Kader für die Planwirtschaft ausgebildet. Sehr schnell führten wir zusätzlich ein Fernstudium ein, so dass Genossen der ersten Stunde, die ohne entsprechende Ausbildung in hohe und höchste Stellen gekommen waren, ihre Qualifikation nachholen konnten. Wir hatten dadurch einen ganz ausgesuchten Studentenkreis, Bewährte und Arbeiterkinder, denen ich als Assistentin für Marxismus-Leninismus die drei Bestandteile des Marxismus beizubringen hatte: die marxistische Philosophie, den historischen Materialismus und

Weitere Kostenlose Bücher