Endlich wieder leben
Wasser fror sofort, es war glitschig am Brunnen und auf dem Weg, und man musste die Pumpe mit Lumpen umwickeln, damit sie nicht einfror.« 91
Die meisten Häuser und Wohnungen besaßen noch kein Badezimmer, viele nicht einmal fließendes Wasser, das Plumpsklo war auf dem Land und in den Kleinstädten oft noch die Regel. Nur alle paar Monate, wenn das Jucken unerträglich geworden sei, seien ihr die Haare gewaschen worden, berichtete die Schriftstellerin Ulla Hahn später. 92 Dann »wurden ein paar Töpfe heißes Wasser gemacht, das Haar eingeseift und mit immer neuen Güssen aus der Milchkanne gespült«. In vielen Familien wurde das Wasser für das Bad am Samstag mühsam in einem Kessel oder in großen Bottichen auf dem Herd erhitzt und dann in eine Zinkwanne geschüttet. Nacheinander stiegen Kinder, Eltern und Großeltern hinein: »Ab und an wurde heißes Wasser nachgeschüttet, und der Letzte saß in der graubraunen Brühe von Seifenflocken.« 93
Familien, die eine Neubauwohnung erhielten, schätzten sich glücklich. Fünfzig Quadratmeter für vier Personen waren erheblich komfortabler als ein oder zwei Zimmer in Untermiete. Außerdem gab es Bad und Heizung und neben dem Elternschlafzimmer in der Regel auch ein kleines Kinderzimmer (in Großstädten besaß ein Viertel der Kinder noch kein eigenes Bett). Meist mit großer Eigenleistung besonders seitens der Flüchtlinge und Vertriebenen entstanden im Grüngürtel der Städte neue Eigenheimsiedlungen; der Anteil der Pendler stieg von achtzehn (1950) auf 31 Prozent (1961).
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Glücklich war, wer sich – oft mit Geldern des Lastenausgleichs – ein eigenes Reihenhaus bauen konnte oder eine Neubauwohnung im sozialen Wohnungsbau erhielt. Zum sozialen Aufstieg passten die sorgfältig angelegten und gepflegten Ziergärten. Wichtiger als der Anbau von Bohnen und Erbsen war gepflegten Ziergärten. Wichtiger als der Anbau von Bohnen und Erbsen war jetzt die Pflege von Buchsbäumen und Stiefmütterchen.
Die Kaufkraft der Löhne und Einkommen von 1950 hatte das Niveau der guten Zwischenkriegsjahre erreicht, allerdings gab es aufgrund der Kriegsverluste eine starke Nachfrage nach langlebigen Gütern. Wer am technischen Fortschritt teilhaben oder neue Möbel anschaffen wollte, musste sparen, auf kurzfristige Konsumbefriedigung verzichten, um größere Anschaffungen tätigen zu können. Die Sparquote verdreifachte sich im Laufe des Jahrzehnts, das Bausparen verzwölffachte sich sogar.
»Als wir unser Schlafzimmer gekauft haben«, so Inge Tschetschorke, die in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen wohnte, »hat das 1200 Mark gekostet. Wie viele Monate hat mein Mann nur für das Schlafzimmer arbeiten müssen!« Bei der Post verdiente er monatlich gerade einmal 180 Mark. Den ersten Kochherd konnte sich das Ehepaar Anfang der sechziger Jahre nur dank der Schwiegereltern leisten, die jedem ihrer Kinder fünfhundert Mark von ihrem Lastenausgleich schenkten. »Davon haben wir bei Neckermann einen Elektroherd gekauft und einen Ofen zum Heizen. Da waren wir glücklich!« 94
Oft gelang das Sparen nur, weil die Familien Selbstversorger waren, einen Garten, vielleicht ein paar Schweine, Hühner, Gänse, Enten besaßen, wie die fünfköpfige Familie von Maria Will in einem niederbayrischen Dorf bei Dingolfing, die mit dem Zimmererlohn des Vaters auskommen musste. »Zu Weihnachten wurde immer geschlachtet. Da ist alles in die Speisekammer gekommen, was der Vater gemacht hat: Aspik, Preßsack, Leberwurst, Blutwurst. Wir hatten auch eine Kuh. Meine Mutter hat selbst gebuttert. Wenn die Butter älter war, schmeckte sie allerdings leicht ranzig. Da habe ich lieber Rama oder Sanella gegessen.« Die Familie baute Kartoffeln und Roggen an, und sie sammelte Beeren im Wald. »Aus Heidelbeeren hat unser Vater Marmelade und Kompott gemacht, aus Johannisbeeren Saft und Wein, aus Zuckerrüben Sirup. Er hat gespart und gespart, bis es Ende der fünfziger Jahre endlich für einen flamingoroten, gebrauchten VW-Käfer reichte. Das war mein Traumauto.« 95
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Max Grundig kam wie andere, das Jahrzehnt prägende Großunternehmer aus kleinen Verhältnissen. 1908 als Sohn eines Nürnberger Lagerverwalters geboren, arbeitete er sich bis 1952 hoch zu Europas größtem Radiohersteller und der Welt größtem Tonbandgeräte-Produzent. Made in Germany wurde auf der ganzen Welt zum Gütesiegel. Viele Hausfrauen konnten bei ihm dazuverdienen und sich damit jenen technischen Fortschritt leisten, an
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