Endlich wieder leben
proletarische Literatur, wurde uns vorgehalten. Außerdem waren zwei Kursteilnehmer nach den Weihnachtsfeiertagen nicht aus West-Berlin zurückgekehrt und hatten ihre Kritik, dass Literatur im Sozialismus nur als Exempel für Thesen dienen solle, die von politischen Instanzen diktiert würden, in der Kulturzeitschrift Frankfurter Hefte veröffentlicht.
Ursprünglich sollte der Kurs noch ein Jahr in Potsdam weitergeführt werden. Es blieb aber bei wenigen Wochen, da Scholz nicht den Erwartungen der leitenden Instanzen entsprach. Ich habe allerdings in dem halben Jahr bei Scholz mehr gelernt als in der weit längeren Studienzeit. Der Kurs in Weimar war für mich der euphorische Höhepunkt meiner Jugend. Hier fühlte ich mich endlich einer Gruppe zugehörig und anerkannt.
Bis zum Herbst 1952 legte ich dann in Leipzig ein glanzloses Staatsexamen ab. Danach wies mir eine Berufslenkungskommission den Dietz-Verlag in Berlin als Arbeitsplatz zu. Nach den Prüfungsenttäuschungen war ich schon deprimiert, nun sollte ich auch noch in dem wenig attraktiven Dietz-Verlag arbeiten, der vor allem politische Literatur veröffentlichte! Ich wagte jedoch nicht zu sagen, dass ich mich lieber mit Belletristik beschäftigen wolle, und wurde schon als neue Genossin von Abteilung zu Abteilung geführt. Zufällig traf ich danach jedoch einen Genossen vom Kurs in Weimar. Er war in der Abteilung Wissenschaft beim Zentralkomitee gelandet und bot mir an, mich an die Akademie der Wissenschaften zu vermitteln. Die Arbeit am dort geplanten Marx-Engels-Wörterbuch war zwar inhaltlich nicht weit entfernt von der im Dietz-Verlag, aber sie erforderte wissenschaftliche Weiterbildung, und von einem gründlichen Studium der Werke von Marx und Engels erhoffte ich mir mehr Klarheit für meine Fragen und Zweifel. Es dauerte allerdings eine Weile, bis der Dietz-Verlag auf seinen Anspruch verzichtete. Wovon sollte ich in dieser Zeit leben?
Ich hatte ein leeres Zimmer in Treptow gemietet, das zu bezahlen und einzurichten war. Als ich dort ankam, standen drei Männer mit einem Lkw vor der Haustür, Möbelpacker, die drohten, mit meiner Couch und meinem Schreibtisch nach Dresden zurückzufahren, wenn ich nicht sofort 280 Mark zahlen würde. Genau in diesem Augenblick kam wie ein Deus ex Machina Wolfgang Heise des Wegs, ein Assistent von der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität in Ost-Berlin. Er hatte mit einer Gruppe junger Studenten des Defa-Filmstudios einmal unseren Kurs in
Weimar besucht; da hatte ich ihn kennengelernt. Jedenfalls schilderte ich ihm meine Lage, und er veränderte sie aus dem Stand – und zwar für immer. Er bezahlte nicht nur die Möbelpacker und schleppte die Möbel – nach gerade einmal fünf Monaten waren wir verheiratet.
Freunde hatten ihn mir als bindungsscheu geschildert. Doch nach ein paar Tagen lud er mich ins Theater ein und fragte gleich anschließend: »Wir bleiben doch zusammen?« Ich war vollkommen verblüfft. Irgendwie realisierte ich den Ernst der Lage nicht gleich, glaubte noch nicht an ein dauerhaftes Zusammenleben. Auf jeden Fall wollte ich mein Zimmer in Treptow behalten. Doch Anfang 1953 forderte die SED ihre noch in West-Berlin wohnenden, aber im sowjetisch besetzten Osten arbeitenden Genossen auf, in den Ostsektor zu ziehen. Auch Wolfgang wohnte im Westen. Nach dem frühen Tod des Vaters war er zu seiner Mutter zurückgezogen. Als jüdische Frau eines »Ariers« hatte sie Berufsverbot und während des Krieges Zwangsarbeit leisten müssen; sechzehn Mitglieder ihrer Wiener Familie waren in Konzentrationslagern umgekommen, andere waren emigriert; ihre Söhne hatten in einem Arbeitslager überlebt. Diese Erlebnisse prägten sie bis zu ihrem Tod.
Da sich Wolfgang und seine Mutter sowieso der DDR zugehörig fühlten, zogen sie im Februar 1953 in den Osten um. Auch ein Abenteuer: Die West-Berliner Behörden verlangten eine genaue Inventarliste des Umzugsguts samt bibliographischer Angaben aller Bücher – Wolfgang besaß etwa 8000. Nach mehreren durchschriebenen Nächten kapitulierten wir und schafften einen Teil der Bücher nach und nach kofferweise mit der S-Bahn in den Osten. Wir heirateten. Ein Paar bekam unverheiratet nicht einmal ein gemeinsames Hotelzimmer. Ich musste meine Treptower Bleibe aufgeben.
Zuerst zogen wir in ein kleines Einfamilienhaus nach Berlin-Wilhelmshagen. Oben wohnte meine Schwiegermutter, unten wohnten wir, das Wohnzimmer war gemeinsam. Es gab zunehmend Schwierigkeiten.
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