Endlich wieder Weiberabend: Roman (German Edition)
Gorgonzola, Salami, Steinpilzen, Artischocken und Oliven. Und Trüffelöl. Du liebst doch Artischocken. Die kommen extra für dich da drauf.«
»Okay, das ist schon eher ein Herzinfarkt auf dem Teller«, sage ich. »Welch tragische Verschwendung deiner kulinarischen Fähigkeiten. Jeder Idiot kann Pizza machen.«
»Aber das ist Virginias Lieblingsessen«, erwidert Helen. »Und da ihre Mutter im Sterben liegt …«
Mit diesen wenigen Worten hat Helen mich wissen lassen, dass unsere zehnjährige Freundschaft, unsere Urlaube mit den Kindern, die gemeinsam erlebten Meilensteine der Mutterschaft, die geteilten Geheimrezepte, die Tatsache, dass sie meine Hochzeit geplant und meinen Junggesellinnenabschied auf einem Schiff im Hafen von Sydney organisiert hat und dass ich eine der Ersten war, die Levi im Krankenhaus im Arm gehalten und im Leben willkommen geheißen haben – dass all das letzten Endes gegen noch ältere Geschichten keinen Stich machen kann. Sie entscheidet sich für Virginia. Die noch nicht einmal hier ist.
Ich greife nach einem der kleinen Cocktails und kippe ihn herunter. Das Zeug brennt und sticht und explodiert in meiner Speiseröhre wie ein Schuss Morphium. Sofort genehmige ich mir noch einen. »Ach, was für ein Spaß«, sage ich und greife nach dem dritten Glas.
Es wird schnell dunkel. Jetzt im Herbst zwinkert dir eben noch abendliches Zwielicht zu, und im nächsten Moment ist es stockfinster. Manchmal kommen mir die Übergänge, die ich als Mutter erlebe, genauso abrupt vor. Kaum habe ich erkannt, wo meine Kinder gerade stehen, schon sind sie in der nächsten Phase.
Draußen auf der Terrasse zu sitzen, wenn die Dunkelheit so nah herankommt und die Aussicht nur noch aus Schatten besteht, macht mich nervös. Zu dieser Tageszeit quälen mich oft unnötige Fragen – etwa ob Schlangen Treppen überwinden können oder ob der Geruch, den ich nicht genau benennen kann, etwas mit Geistern zu tun hat. CJ und Summer führen eine geschlossene Unterhaltung wie ein behagliches Duett, von dem ich nur Fetzen auffange, etwa über »den neuesten Prius« und all seine Vorzüge. Autos interessieren mich ungefähr so sehr wie die Zahnsanierung anderer Leute. Also schlendere ich leicht angetrunken nach drinnen in das riesige Wohnzimmer und erschrecke noch einmal vor den Gesichtern der erlegten Toten, die wie Gespenster aus den Wänden hervorragen.
»Ihr schon wieder«, brumme ich.
Ich bleibe stehen und starre in den riesigen Spiegel, ohne mich zu erkennen. Einen Moment lang scheint es, als hätte das Haus – oder, was wahrscheinlicher ist, der Alkohol – mich in eine Fremde verwandelt. Mein Spiegelbild stimmt irgendwie nicht, als könnte ich mich nicht ganz darauf verlassen, dass es tatsächlich meines ist. Ich starre mich an. Das also sehen die Leute, wenn sie mich anschauen. Vertrautheit trübt den Blick, und so schleicht sich das Alter ganz allmählich ein, durch Türritzen und Spalten. Ohne Spiegel verliert das Alter an Schärfe. Man würde es vielleicht lediglich als dünner werdende Lebenskraft wahrnehmen, so wie die Luft auf einem Berggipfel. Wir würden eben langsamer werden, das Erschlaffen von Collagen und das allmähliche Verebben der Libido spüren, aber ohne den Stich der Angst, die all dieses Nachlassen auslöst. Ich fahre mir mit den Fingern durchs Haar. Von so weit weg sieht man die grauen Haare wirklich kaum. In dieser Hinsicht ist Ferne ein Segen, nur leider bringt sie keine Vertrautheit oder echte Wahrheit.
Mit neunzehn war Pan Aroma mein Lieblingsbuch und Tom Robbins mein Lieblingsautor. In dem Roman verließ König Alobar jede Nacht heimlich sein Schloss, um sein Spiegelbild im Wasser zu betrachten und sich die grauen Haare auszuzupfen. In seinem Königreich galten die ersten Anzeichen von Entkräftung oder Verfall als Zeichen dafür, dass die Macht des Königs schwand, und darauf stand der Tod. Ich sollte wohl dankbar dafür sein, dass ich meiner Liste der Ängste vor dem Alter nicht noch »Enthauptung« hinzufügen muss. Aber diesem Grauen beim Anblick der ersten weißen Haare entkommt man nicht. Meine Mutter hat einmal zu mir gesagt: »Man merkt, dass man alt wird, wenn sogar die Schamhaare grau werden.« Das hat mir immerhin ein paar Monate verlängerter Jugendlichkeit verschafft.
Ich habe mir ja vorgenommen, in Würde zu altern. Lieber würde ich natürlich kämpfen bis zum letzten Atemzug, wie meine neunundachtzigjährige Großmutter Sophie. Als sie in den OP geschoben wurde,
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