Endlich wieder Weiberabend: Roman (German Edition)
hinterlassen hat. In ihrer Armbeuge sitzt ein Stückchen Schorf, wo sie sich unbewusst gekratzt, wo sie unbemerkt geblutet hat. Ich nehme die feinen Härchen auf ihrer Oberlippe wahr. Ein rotes Äderchen an ihrem linken Nasenflügel. Die pulsierende Ader über ihrem Auge. Das Ohrläppchen, vom Gewicht ihres blattförmigen Ohrrings verzogen.
»Erinnerst du dich noch daran, wie du Olivia zum ersten Mal im Arm gehalten hast?«
Sie nickt traurig.
»Wie du sie in deinen Armen betrachtet hast, so wie alle Mütter ihre Babys betrachten? Wie es ist, sich mit einer Wachsamkeit um sie zu kümmern, die wir uns nie zugetraut hätten? Mit einer Aufmerksamkeit, die erst in uns erwacht ist, als jemand uns auf diese Art gebraucht hat?«
»Ja«, flüstert sie.
»Kümmere dich mit dieser Aufmerksamkeit um dich selbst.«
Erekas Hand in meiner erschlafft. Sie lässt den Kopf hängen.
»Du brauchst dich. Du brauchst deine Fürsorge.«
»Wann denn?«, haucht sie. »Ich habe nicht die Zeit dazu …«
»Nimm sie dir, Ereka. Fang eine Affäre an – mit dir selbst.«
Sie lächelt.
»Nenn mir eine Sache, die du nur für dich tust. Eine einzige.«
Sie überlegt. »Meine Zehennägel.« Ihr Lachen ist so weich wie persischer Feta. Sie deutet auf ihre Füße.
»Was hast du zuletzt gemalt? Ich meine, richtig. Auf einer Leinwand?«
Eine Träne bebt am Rand ihres Augenlids und fällt herunter. Sie hinterlässt eine schimmernde Spur auf Erekas Wange und bleibt in der Furche ihres Doppelkinns hängen. Zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden habe ich sie zum Weinen gebracht.
»Ich war schon ewig nicht mehr im Atelier. Jake sagt mir ständig, ich solle wenigstens reingehen und ein bisschen herumsitzen«, schnieft sie. »Aber das fühlt sich an, als würde ich neben einem Sarg sitzen und Totenwache halten. Das ist so, wie wenn der Funken in einer Beziehung erlischt. Was soll man da machen? Man kann ihn nicht zwingen, wieder aufzuflammen. Dabei will ich ihn nur wieder fühlen, mich wieder verlieben – egal, in wen oder was. Ich will dieses Herzklopfen noch einmal spüren, ehe ich sterbe.«
»Verstehe.« Ich bin nicht in die Toskana verliebt. Etwas, das man gar nicht kennt, kann man nicht lieben. Angeblich ist die Gegend von Touristen überlaufen und teuer – und der Kaffee miserabel.
»Weißt du, in den ersten Jahren unserer Ehe, vor Olivias Geburt, war ich manchmal die ganze Nacht lang im Atelier. Ich habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit verging, bis ich irgendwann Jakes Schritte auf der Holztreppe gehört habe und er in seinenBoxershorts mit einer Morgenlatte und einer Tasse Kaffee mit Kondensmilch in der Tür stand. Erst da habe ich gemerkt, dass ich die ganze Nacht lang gemalt hatte. Ich war mit so viel Leidenschaft bei der Sache, dass ich sie mir hätte abpumpen können, um sie anderen zu schenken, wie Frauen, die zu viel Muttermilch produzieren. Ein Jammer, dass ich nicht daran gedacht habe, etwas davon für schlechte Zeiten aufzuheben. Jetzt ist sie weg. Im Krieg verschollen.«
»Ereka, du weißt selbst, dass diese Leidenschaft kommt und geht. Alle Künstler wissen das.«
»Was, wenn sie gestorben ist und nie mehr zurückkehren kann?«
Das ist möglich, da hat sie recht. Aber was für eine Freundin wäre ich, wenn ich ihr zustimmen würde? Noch mit meinem letzten Atemzug würde ich lügen, damit Ereka nicht untergeht.
Ereilte singend sie der Tod,
Die Lady von Shalott.
»Schreib sie noch nicht ab!«
So sitzen wir da, am Rand des neuen Tages. Der Nebel kriecht die Hügel empor und enthüllt die Landschaft. Der Sonnenaufgang ist lieblich und lebhaft, und wir beide haben uns längst mit diesem Tag zusammengetan. Da hebt Ereka den Kopf, und ich sehe Gastfreundschaft in ihren Augen. Die Tür steht noch nicht weit offen, aber immerhin einen Spaltbreit. Und durch den dringt Licht ein, wie wir dank Leonard Cohen wissen.
12 Keine optische Täuschung
I st er die Kalorien wert?«, fragt Ereka.
Anscheinend habe ich mein Stück Kuchen aufgegessen. Innerlich ist mir karamellwarm.
»Oh, ja.«
Ereka bricht ein winziges Eckchen von dem Stück ab, das ich für sie abgeschnitten habe, und kostet. »Das wäre das Richtige für Olivia. Sie ist wie Winnie Puuh. Für Honig tut sie alles.«
»Bei Jamie ist es Käsekuchen.«
»Wie geht es ihr?«
»Sie kann es kaum erwarten, von zu Hause wegzulaufen.«
Ereka kichert. »So war ich auch als Teenager.«
»Sie jammert mir die Ohren voll, weil ich sie nicht für drei Wochen
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