Endlich wieder Weiberabend: Roman (German Edition)
nach Borneo lassen will – nach Borneo!«
Ereka putzt sich mit einer Serviette die Nase.
»Also wirklich, ich weiß nicht mal, wo das ist.«
»Irgendwo in Malaysia. Es soll sehr schön sein dort.«
Ich brummele. Schön – na und?
Ereka schlürft ihren Kaffee. Ich habe den Eindruck, dass sie mir etwas sagen will.
»Der Morgen, an dem Olivia zur Welt gekommen ist, war ein perfekter Frühlingstag. Der Himmel war klar, es duftete nach Blumen. Unser Pfirsichbaum stand in voller Blüte, lauter kleine, bunte Nester. Ich weiß noch genau, dass ich dachte: Wenn das kein gutes Omen ist. Ein paar Stunden später sah ich dann das pure Entsetzen in den Augen meiner Hebamme. Die lernen natürlich in ihrer Ausbildung, nicht in Panik zu geraten, aber sie konnte es nicht ganz verbergen. Auf einmal hatte ich das seltsame Gefühl, dass ich nur aus der Ferne zusah, wie sich alles abspielte. Nicht bloß dieser Augenblick, sondern mein ganzes Leben, einfach alles, jedes Geräusch, jede Farbe, bis hin zu diesen hellrosa Blüten. Und ich hatte … Das hört sich jetzt vielleicht verrückt an, doch ich hatte eine Art Déjà-vu.«
»Du konntest das nicht ahnen, Ereka.«
»Nein, so meine ich das nicht. Ich habe mich nur gefragt, ob ich dieses Unglück nicht irgendwie selbst über mich gebracht habe.« Sie stößt seufzend die Luft aus.
»Ach, Ereka, wie kannst du dir nur die Schuld daran geben? Du hast alles richtig gemacht.«
Sie schließt die Augen und schüttelt den Kopf. »Als Teenager habe ich gern die leidende Künstlerin gegeben. Ich habe ausschließlich Schwarz getragen, Wimperntusche, Klamotten, alles – ich sah aus wie eine Witwe in Trauer. Meine Mutter hat immer zu mir gesagt: ›Warum ziehst du dich an, als wärst du auf dem Weg zu einer Beerdigung?‹«
»Mit Schwarz kann man nichts falsch machen«, sage ich und denke gleich darauf, dass ich mich schon anhöre wie Summer. War das mein Ernst? Habe ich Ereka gerade einen Modetipp gegeben? Ich sollte den Mund nicht mehr aufmachen.
Ereka fährt fort: »Du müsstest mal hören, wie ich Kylie anschreie, oft wegen der unwichtigsten Kleinigkeiten. Unfertige Hausaufgaben, Schmutzwäsche auf dem Boden, ein verlorener Pullover. Inzwischen ist sie richtig böse und eifersüchtig auf Olivia, weil ich die nie anschreie. Wie könnte ich das? Also wird bei uns zu Hause mit zweierlei Maß gemessen. Kylie jammert ständig ›Das ist nicht fair‹, und da hat sie natürlich recht. Deswegen höre ich trotzdem nicht auf, sie wegen allem Möglichen anzuschreien, was mich jedes Mal wütend macht.«
»Fair gibt es nicht«, sage ich. »Kleine Kinder werden immer anders behandelt als die größeren und Jungen anders als Mädchen. Wir sind die Anti-Gleichstellungsbeauftragten.«
»Ja, damit will ich doch bloß sagen: Fühl du dich nicht mies wegen meines Lebens, und vergleiche dein Leben nicht mit meinem.«
Damit hat sie mich festgenagelt. Geschickter Schachzug.
»Du kannst mit mir auch über deine Probleme reden.«
»Die kommen mir so unbedeutend vor.«
»Sie sind nur anders. Du sollst mich nicht in Watte packen. Dann fühle ich mich so … einsam.«
»Okay.«
Wir sitzen still da, während der Kaffee kalt wird und der Nebel verdunstet. Ich höre oben jemanden duschen. Die alten Leitungen im Haus stöhnen. Es ist beinahe menschlich in seiner Traurigkeit, dieses alte Gemäuer.
»Ich bin verbittert wegen Olivia«, sagt Ereka. Sie klingt erstaunt über sich selbst und den Tränen nahe. »Manchmal frage ich mich, wie mein Leben hätte aussehen können, wenn sie bei der Geburt gestorben und nicht wiederbelebt worden wäre. Du weißt schon, wie ich das meine – ich hätte um sie trauern können. Das wäre sicher leichter gewesen. Es gibt wirklich Schlimmeres als den Tod. Nur was für eine Person könnte so etwas Abscheuliches über ihr eigenes Kind denken? Und was tue ich in solchen Momenten? Ich schleiche zum Kühlschrank und stopfe mich voll.«
»An deiner Stelle würde ich dasselbe tun, Ereka«, sage ich. Dabei habe ich keine Ahnung, was ich tun würde. Sie ist für den Rest ihres Lebens an ihre Tochter gefesselt wie eine Sklavin. Was wird wohl aus Olivia, wenn Ereka stirbt?
»Ich bin so was von müde, Jo. Ich habe das alles satt. Alles.«
Ich strecke die Hand aus und streichle ihre Schulter. Sie sackt unter meiner Berührung zusammen.
»Es tut mir leid, dass ich mir nicht mehr Mühe gegeben habe, mit dir in Verbindung zu bleiben.« Verspätete Anteilnahme. Ein jämmerlicher
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