Endlich wieder Weiberabend: Roman (German Edition)
eigentlichen Thema: einem ungeliebten, zu wenig bemutterten Kind. Meine Kinder wissen genau, wie sie mich bis an die Grenzen meiner Geduld und menschlichen Würde bringen können. Ich mag sie nicht immer. Manchmal machen sie es mir schlicht unmöglich. Trotzdem kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, sie nicht zu lieben. Selbst wenn ich wollte – ebenso wenig könnte ich meinem Körper befehlen, keine Nahrung mehr zu verdauen. Ich kann die Sache nicht einmal neutral betrachten, so, wie wenn ich Fremde mit einer Person in Uniform streiten sehe und milde denke: Das ist keine schlaue Idee, statt hinzurennen, zu intervenieren, zu vermitteln und das Problem lösen zu wollen. Meine Liebe zu meinen Kindern ist wie mein Herzschlag oder meine Atmung: eine biologische Notwendigkeit. Offensichtlich gilt das nicht für alle Mütter.
»Meine Damen, hier sehen Sie das schneeweiße Schaf ihrer Familie.« Virginia weist mit großer Geste auf Helen wie ein Zirkusdirektor, der eine neue Nummer ankündigt. »Es gibt Mütter, die ihre Töchter lieben. Helen ist der lebende Beweis dafür. Helen, wie ist das so?«
Die Gefragte brummt. »Die Sache hat einen Nachteil – und das ist eine Warnung an euch alle: Wenn meine Mutter stirbt, werde ich ein menschliches Wrack sein. Und zwar für ziemlich lange Zeit.«
»Wie geht es Roz?«, fragt Virginia.
»Im Moment schlürft sie wahrscheinlich einen teuren Cocktail auf dem Oberdeck. Sie und mein Vater machen eine Kreuzfahrt zu den Bahamas.«
»Erinnere mich bitte daran, dass ich etwas für sie habe, zum Muttertag – ich habe ihr in Ghana eine Kette aus Tonperlen gekauft. Meine fand sie neulich so schön.«
»Zum Muttertag?«, fragt CJ.
»Sie war meine Ersatzmutter. Dank ihr weiß ich, was richtige Mütter tun.«
»Dank ihr bist du nicht mit sechzehn selbst Mutter geworden. Wo du wohl heute wärst, wenn sie dir nicht die Pille besorgt hätte, als dein Freund damals … Wie hieß er noch? Der mit der Punk-Frisur? Der Kerl hat jedenfalls behauptet, ihm würden die Eier abfallen, wenn du nicht mit ihm schläfst.«
»Der süße Barry Wendall. Aber das mit seinen Eiern war gelogen.«
»Ich habe dir damals gesagt, dass Jungen nicht die Eier abfallen, wenn sie keinen Sex haben.«
»Soll ich dir erzählen, was eines der Highlights meiner jämmerlichen Kindheit war? Die Hühnersuppe, die Roz gekocht hat, als ich von unserem Campingausflug mit einer Lungenentzündung nach Hause kam.«
»Du musstest ja unbedingt um drei Uhr früh nackt in diesem See schwimmen …«
Die beiden finden das furchtbar lustig. So reagieren Leute nun mal auf Insiderwitze oder eine gemeinsame Erinnerung. Da fühlen alle anderen sich zwangsläufig ausgeschlossen. Aber Virginia ist bestimmt neidisch auf Helen. Jedenfalls wäre das nur natürlich.
»Krank zu sein war das Allerbeste. Wenn Celia mich rausgeworfen hat, weil ich mit vierzig Grad Fieber nach Hause kam oder mir die Lunge aus dem Hals hustete, hatte ich einen guten Vorwand, bei euch angelaufen zu kommen und zu bleiben, bis es mir besser ging.«
»Das ist ja schrecklich«, bemerkt Ereka und ruft uns ins Gedächtnis, was Virginia damit eigentlich sagt.
Virginia wird still.
Dann fährt sie fort: »Ja. Ich war Bungeespringen, Paragliding, und ich war während heftiger Gewitter in offenem Gelände. Nichts davon kommt auch nur annähernd an das Grauen heran, meiner Mutter sagen zu müssen, dass ich krank war. Mit anzusehen, wie das Nilpferd unserem Führer den Fuß abgebissen hat, war vermutlich das einzige Erlebnis, das noch schlimmer war. Selbst wenn ich nur gehustet habe, ist Celia ausgerastet vor Wut. Als würde ich absichtlich ihr Leben ruinieren, alles durcheinanderbringen, sie von ihrem Bridge, ihrem Tennis, ihrer Wohltätigkeitsbäckerei abhalten …«
»Sie hat das beste Brot gebacken, das ich je gegessen habe. Das muss man ihr lassen«, erinnert Helen ihre Freundin.
»Ja, mit Mehl und Wasser konnte sie etwas anfangen.«
»Meinst du, wir könnten sie dazu bringen, eine letzte Vanillecremetorte zu backen, ehe sie das Zeitliche segnet?«
»Allein von dem Geruch wird mir schlecht.« Virginia sinkt in sich zusammen.
Sie hat diese Erzählung perfektioniert. So schafft man es irgendwann, über eine Tragödie zu sprechen, ohne völlig zusammenzubrechen. Die Oberflächen sind sauber gewischt, in ihrer Stimme liegt keine Spur von Schmerz oder Selbstmitleid. Eine sterile Umgebung. Trotzdem muss da irgendwo Trauer sein. Vielleicht nicht um die
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