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Endlich

Endlich

Titel: Endlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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stärken. Und das ist offensichtlich absurd. Also haben wir hier etwas ganz Ungewöhnliches in den Annalen der unsentimentalen Annäherung an den Untergang: nicht den Wunsch, in Würde zu sterben, sondern die Sehnsucht, gestorben zu sein .
    *
    Professor Hook ging 1989 von uns, und ich bin eine Generation jünger. Ich bin nicht so nahe am bitteren Ende vorbeigeschrammt wie er. Auch habe ich mir bis jetzt keine so schwierige Unterhaltung mit meinem Arzt ausgemalt. Aber ich erinnere mich, wie ich dalag und auf meinen nackten Oberkörper hinunterschaute, der fast vom Hals bis zum Nabel von einem grellroten Bestrahlungsausschlag bedeckt war. Dies war das Ergebnis eines monatelangen Bombardements mit Protonen, das den Krebs in meinen paratrachealen und supraklavikulären Lymphknoten weggebrannt hatte, und ebenso den ursprünglichen Tumor in meiner Speiseröhre. Dies reihte mich in die seltene Klasse von Patienten ein, die von sich sagen können, der hochspezialisierten therapeutischen Möglichkeiten des MD Anderson Center in Houston teilhaftig geworden zu sein. Zu schreiben, dass der Ausschlag wehtat, würde nichts aussagen. Die Schwierigkeit liegt darin, dem Leser zu vermitteln, wie sehr er innerlich wehtat. Ich lag Tag um Tag da und versuchte vergeblich, den Augenblick aufzuschieben, in dem ich schlucken musste. Jedesmal, wenn ich es tat, floss eine diabolische Flut des Schmerzes meine Kehle empor und fand ihren Höhepunkt in etwas, das sich anfühlte wie der Tritt eines Mulis in die Lendenwirbelsäule. Ich fragte mich, ob es drinnen genauso rot und entzündet aussehen mochte wie außen. Und dann blitzte unvermittelt der Gedanke auf: Hätte man mir dies alles im Voraus gesagt – wäre dann meine Entscheidung zugunsten der Behandlung ausgefallen? Es gab mehrere Momente, als ich zuckte und mich wand und keuchte und fluchte, da ich es ernstlich bezweifelte.
    Es ist wahrscheinlich eine gnädige Einrichtung, dass sich Schmerz aus der Erinnerung unmöglich beschreiben lässt. Es ist auch unmöglich, vor ihm zu warnen. Wenn meine Proton-Doktoren mir vorher etwas zu erzählen versucht hätten, dann wäre vielleicht die Rede von »starkem Unbehagen« gewesen oder möglicherweise von einem brennenden Gefühl. Ich weiß nur, dass nichts mich auf diesen Schmerz hätte vorbereiten können, der mich in meinem Innersten angriff und dem Schmerzmittel gleichgültig zu sein schienen. Ich habe nun anscheinend keine Bestrahlungskapazitäten an jenen Körperstellen mehr frei – fünfunddreißig Tage in Folge gelten als das Maximum, dem sich jemand aussetzen kann, und während dies an sich keine gute Nachricht ist, erspart es mir die Frage, ob ich willentlich noch einmal eine derartige Behandlung über mich ergehen lassen würde.
    Aber ich kann eben gnädigerweise nun auch nicht mehr die Erinnerung heraufbeschwören, wie sich das in diesen sehrenden Tagen und Nächten anfühlte. Und seitdem habe ich einige Perioden relativ robuster Kondition erlebt. Also muss ich als vernünftiges Wesen Bestrahlung, Reaktion und Erholung insgesamt betrachten und mir sagen: Wenn ich das erste Stadium der Therapie abgelehnt hätte (und so das zweite und dritte vermieden), dann wäre ich bereits tot. Und das hat keinen Reiz.
    Es ist allerdings nicht zu leugnen, dass ich ansonsten viel, viel schwächer bin, als ich es damals war. Wie lange scheint es her, dass ich das Protonen-Team zu Champagner einlud und dann fast behände in ein Taxi stieg. Während meines nächsten Krankenhausaufenthalts – in Washington, D. C. – vermachte das Hospital mir eine Staphylokokkenpneumonie, die mich fast umbrachte (und schickte mich damit zweimal nach Hause). Die vernichtende Ermüdung, die mich infolgedessen überkam, enthielt auch die tödliche Drohung, vor dem Unausweichlichen aufzugeben. Oft fühlte ich, wie Fatalismus und Resignation mich überfluteten, wenn ich nicht gegen meine allgemeine Kraftlosigkeit ankämpfen konnte. Zweierlei rettete mich vor dem Verrat an mir selbst, dem Loslassen: eine Ehefrau, die mich nicht auf so langweilige und nutzlose Weise daherreden hören wollte, und verschiedene Freunde, die auch offen sprachen. Ach ja, und das regelmäßige Schmerzmittel. Wie glücklich teilte ich mir den Tag auf den Augenblick hin ein, da ich zusehen konnte, wie die Injektion vorbereitet wurde. Das zählte als großes Ereignis. Bei manchen Analgetika kann man mit etwas Glück den Augenblick spüren, da sie wirken: eine Art wärmendes Prickeln mit einem idiotischen

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