Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
Weltmeister mit der Physis eines Athleten und dem Selbstbewusstsein eines Königs? Doch Karpow hatte sich als Herausforderer durchgesetzt. In den drei Runden des Kandidatenwettkampfs hatte er 46 schwere Partien gespielt und nur drei verloren. Verglichen mit Bobby im gleichen Alter war Karpow ihm in seiner Schachkunst um mehrere Jahre voraus. Viele Schachspieler – auch außerhalb der Sowjetunion – prophezeiten, er werde mit wachsender Reife sogar noch besser als Bobby Fischer. Botwinnik, Bobbys ehemaliger Erzfeind, war Karpows Lehrer.
In der Hoffnung, dass der Titelkampf ähnlich hohe Wellen schlagen würde wie der 1972 in Reykjavik, bewarben sich Städte in aller Welt als Austragungsort. Manila toppte alle, mit einem atemberaubenden Angebot über fünf Millionen Dollar Preisgeld. Wäre das Match zustande gekommen, wäre es eines der höchstdotierten Sportereignisse aller Zeiten geworden (wenn man Schach denn als Sport betrachtete). Es gab nur einen Haken: Bobby Fischer.
Bobby beantragte nämlich bei der FIDE, die Regeln für den Titelkampf zu ändern. Bisher wurde der Weltmeister in maximal 24 Partien ermittelt, aus denen der Titelverteidiger zwölf Punkte brauchte. Bobby schlug vor, zukünftig nur noch Siege zu werten; wer als Erstes zehn Partien gewonnen hätte, wäre neuer Weltmeister. Remis sollten nicht zählen, und im Fall eines Gleichstands bei 9 zu 9 würde der amtierende Weltmeister seinen Titel behalten. Der Nachteil des Vorschlags: Der Titelkampf konnte sich ewig hinziehen, weil Remis nicht in die Wertung eingingen.
Die FIDE stimmte zwar der Idee mit den zehn gewonnenen Partien zu, lehnte die 9-zu-9-Regel jedoch ab. Außerdem begrenzte sie die Zahl der Partien auf maximal 36, was Bobby lachhaft niedrig fand. In seinen Augen war das ein ganz fauler Kompromiss. Bobby führte an, in seinem System würde es weniger Remis geben, und die Spieler würden größere Risiken eingehen, um Siege einzufahren, statt halbe Punkte zu hamstern.
Fischer teilte dem Außerordentlichen Rat der FIDE in den Niederlanden mit, dass seine Änderungswünsche »nicht verhandelbar« seien. In Chess Life & Review erklärte Bobby, dass seine Idee nichts Neues, Unerhörtes war: »Steinitz, Tschigorin, Lasker (auch), Gunsberg, Zukertort … sie alle spielten auf zehn Gewinnpartien um den Titel (gelegentlich mit der 9-zu-9-Klausel). Die Idee dahinter ist, die Spieler zu Höchstleistungen anzustacheln und den Zuschauern ein Spektakel zu bieten.«
Colonel Edmund B. Edmondson, der geschäftsführende Direktor des amerikanischen Schachbunds, versuchte vergeblich, einen Kompromiss auszuhandeln. (Eine ausführliche Darstellung darüber, was alles versucht wurde, um den Titelkampf Fischer–Karpow zu ermöglichen, würde ein eigenes Buch füllen.) Doch alles war letztlich vergeblich, keine Seite wollte nachgeben.
Fischer beharrte darauf: Entweder die FIDE änderte die Regeln, oder er würde nicht antreten. Seinen Freunden gegenüber blies er sich auf: »Ich werde sie bestrafen , indem ich nicht spiele.« Der Zeitpunkt für die Entscheidung, ob das Match nun stattfinden würde, rückte immer näher. Dann kam er … doch der Titelträger schwieg. Die FIDE räumte Bobby noch einen Tag ein, sich zu erklären. Schließlich schickte Dr. Max Euwe ihm ein Telegramm:
IHRE PROFESSIONALITÄT, IHR KAMPFGEIST UND IHRE AUSSERGEWÖHNLICHE KUNST HABEN IN DEM JAHR, IN DEM SIE DEN TITEL ERRANGEN, ALLE BEGEISTERT. DIE VOLLVERSAMMLUNG DER FIDE BITTET SIE, SICH DOCH NOCH FÜR EINE TITELVERTEIDIGUNG ZU ENTSCHEIDEN.
Bobby schwieg weiterhin. Auf Fragen der Presse antwortete Euwe passend: »Momentan befinden wir uns in einer Pattsituation.« Doch Bobby sollte sich bald selbst schachmatt setzen.
Am nächsten Tag schickte er folgendes Telegramm an Euwe:
FIDE ENTSCHIED GEGEN MEINE TEILNAHME AM TITELKAMPF 1975. DAHER GEBE ICH MEINEN FIDE-WELTMEISTERTITEL ZURÜCK. HOCHACHTUNGSVOLL, BOBBY FISCHER
Die Welt stöhnte auf.
In der New York Times schrieb der Internationale Großmeister Robert Byrne über »Bobby Fischers Angst vor dem Versagen«. Darin mutmaßte er, Bobbys Angst hätte ihn von der Teilnahme an bestimmten Turnieren abgehalten: Er habe gefürchtet, zu Beginn des Turniers ein, zwei Partien zu verlieren und sich damit frühzeitig um jede Siegchance zu bringen. Die größte Angst jedes Spitzenspielers sei, so der Artikel weiter, »einen unerklärlichen Fehler zu begehen, doch davor ist niemand gefeit.« Auch Paul Marshall, Bobbys Anwalt, sprach von
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