Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer
offenes Gesicht wurde von glatten hellbraunen Haaren eingerahmt und von einer dicken Brille mit rosa Gestell beherrscht. Neben dem fast 1,90 Meter großen Bobby wirkte die über 30 Zentimeter kleinere Zita wie ein Kind.
Bobby verfolgte die Festivitäten von einem Thron aus. Neben ihm saß Jezdimir Vasiljevic, der zwielichtige Sponsor des Kampfes, auf einem identischen Thron: zwei gleichrangige Könige, einer König des Schachs, der andere König des Geldes. Vasiljevic hatte das Hotel für 500 Millionen Dollar erworben, das Preisgeld von fünf Millionen belastete ihn also nicht allzu sehr. Als Vasiljevic den Vertrag mit Bobbys Unterschrift überreicht bekam, jubelte der Serbe: »Ich habe gerade fünf Millionen verdient !« Denn nötigenfalls hätte er auch zehn Millionen Dollar hingeblättert. (Bobby gegenüber verriet er das natürlich nie.)
Die Schachwelt nahm die Ankündigung des Revanchekampfs mit gemischten Gefühlen auf. In einem Kommentar für die New York Times fasste Großmeister Robert Byrne die Spekulationen und Reaktionen so zusammen: »Am einen Ende des Spektrums herrscht Freude darüber, dass Mr. Fischer nach zwei Jahrzehnten aus der Versenkung auftaucht. Schließlich ist er ein Gigant des amerikanischen Schachs, und nur wenige Großmeister dürfen behaupten, sie seien von seinen Ideen nicht beeinflusst und von der Brillanz seiner Partien nicht beeindruckt worden. Wenn er noch immer in Topform spielt, wenn er danach weitere Wettkämpfe bestreitet, wenn er später wieder um den Titel antritt – wenn, wenn, wenn –, dann könnte wieder eine Welle der Schachbegeisterung durchs Land, durch die ganze Welt fahren. Genau wie vor zwei Jahrzehnten, als Mr. Fischer Mr. Spasski schlug und Weltmeister wurde.« Die Frage, ob Bobby einen weiteren »Fischer-Boom« im Schachsport auslösen würde, war allerdings sekundär. Viel gespannter war man, ob Bobbys gewaltiges Naturtalent sich am Schachbrett wieder zeigen würde. Niemand konnte sagen, wie stark er nach so langer Pause noch spielen würde. Selbst Bobby konnte nicht wissen, ob er seinen Blick fürs Spiel und seine Brillanz bewahrt hatte. Mit einem Sieg im Rematch gegen Spasski könnte Bobby sich und der Öffentlichkeit jedoch beweisen, dass er es noch immer draufhatte. Allerdings war der nun 55-jährige Spasski auf der FIDE-Weltrangliste inzwischen etwa auf Platz 100 abgerutscht. Nach Ansicht vieler Schachspieler würde der Kampf deshalb nur wenig darüber aussagen, ob Fischer noch immer verdiente, als stärkster Schachspieler der Welt bezeichnet zu werden. Bobby bat seinen Freund Gligorić (»Gliga«), zehn Trainingspartien gegen ihn zu spielen. Bobby gewann den Privatwettkampf, doch nur drei der Partien wurden veröffentlicht. Eine davon ging an Bobby, die beiden anderen endeten remis.
Garry Kasparow, der damalige Titelträger, tat das Rematch als unerheblich ab. Auf die Frage, ob er gern gegen Fischer um den offiziellen Weltmeistertitel antreten würde, blaffte er: »Kommt nicht infrage. Fischer hat’s nicht mehr drauf. Boris und Bobby sind Rentner, keine Gefahr für mich.« Der Londoner Daily Telegraph sah dem Match euphorischer entgegen: »Stellen Sie sich vor, Sie könnten das Ende von Schuberts Unvollendeter hören oder Beethovens Zehnte , oder Sie könnten den fehlenden Arm von Michelangelos Venus sehen. Genau so empfinden Schachspieler in aller Welt angesichts Fischers Rückkehr.«
Noch bevor die Schachuhr für die erste Partie in Bewegung gesetzt wurde, hagelte schon Kritik auf Bobby ein: Wie könne er nur mitten in einem vom Bürgerkrieg zerrissenen Land spielen? Die Vereinigten Staaten versuchten im Verbund mit einigen anderen Ländern und den Vereinten Nationen, Serbien zu isolieren, weil es die Gewalt gegen Moslems und andere Minderheiten unterstützte. Am 7. August 1992 gab Kubat der Deutschen Presseagentur ein Interview, in dem er behauptete, die amerikanische Regierung habe Fischer erlaubt, in Serbien zu spielen. Entweder war hier der Wunsch Vater des Gedankens, oder Kubat versuchte gezielt, mit dieser Aussage die Öffentlichkeit zu täuschen und dem Schachwettkampf Legitimität zu verschaffen.
Zehn Tage vor Beginn des Wettkampfs erhielt Bobby folgenden Brief vom US-Finanzministerium:
DRINGENDE AUFFORDERUNG ZUR SOFORTIGEN EINSTELLUNG
FAC NR. 129405
Mr. Bobby Fischer
c/o Hotel Sveti Stefan (Zimmer 118)
85315 Sveti Stefan
Montenegro, Jugoslawien
Sehr geehrter Mr. Fischer,
wir haben erfahren, dass Sie vorhaben, ab dem 1. September
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