Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
Vom Netzwerk:
wissen schon, Grimm’sche Märchen und so«, antwortete die Kassenkraft. Darauf war der Antisemit in Bobby beruhigt, und er kaufte ein paar Riegel.
    Viele Isländer erkannten Bobby zwar auf der Straße, doch fast niemand sprach ihn an. Fremde allerdings kannten da weniger Zurückhaltung. Normalerweise bürstete Bobby alle ab, die ihn anzusprechen wagten. Eine bemerkenswerte Ausnahme gab es allerdings: Einmal sprach ihn ein amerikanischer Tourist – ein Schachspieler – auf der Straße an und lud ihn zum Abendessen ein. Bobby verlangte daraufhin, den Pass des Amerikaners zu sehen, um sich zu vergewissern, dass der angebliche Tourist kein Reporter war. Danach erklärte Bobby sich überraschend bereit, mit dem Fremden zu essen. Sie gingen in eines der elegantesten und teuersten Restaurants der Stadt und plauderten lange, vornehmlich über Politik.
    Die ersten zwölf Monate Bobbys in Island verliefen äußerst ruhig. Als der Großmeister Helgi Olafsson ihn einmal fragte, wie es ihm hier gefalle, antwortete Bobby gewohnt lakonisch: »Gut.« Doch irgendwann sickerte durch, dass er oft in Bókins Buchladen zu finden war. Die Presse berichtete davon und interviewte den Inhaber. Ein russisches Fernsehteam kreuzte auf und wollte Bobby filmen. Die Störungen nervten Bobby so sehr, dass er sich eine neue Zuflucht suchte: die Reykjaviker Stadtbibliothek. Sie lag nur ein paar Straßen von seiner Wohnung entfernt und wurde zu seinem neuen Lebensmittelpunkt.
    Im fünften Stock des Gebäudes saß er stundenlang an einem Fensterplatz, neben sich die hohen Regale mit Büchern über Geschichte und Politik. Und was für ein Blick sich da aus dem Fenster bot! Nicht auf eine hässliche Seitenstraße, wie bei Bókin, sondern auf die Bucht von Reykjavik mit ankernden Fischtrawlern, dahinter die Berge. Von dieser neuen Zuflucht bekam die Presse nie Wind. Die Bibliothekare hatten ihn natürlich erkannt, hielten aber dicht.
    In unmittelbarer Nähe der Bibliothek befand sich ein günstiges Thairestaurant, Krua Thai. Dort aß Bobby nun zwei, drei Mal die Woche zu Abend. Das Restaurant lag abseits der Touristenpfade, war sauber und gemütlich, hatte dunkel gestrichene Wände, einen paillettenbesetzten Elefanten und weiteres Dekor aus Thailand. Das Licht war gedämpft, was ihm entgegenkam. Besonders schmeckten Bobby die Fischgerichte mit Gemüse und Reis. Er mochte auch die Eigentümerin, eine intelligente, quirlige Thailänderin namens Sonja. Nur sie durfte ihn bedienen. »Wo ist die Chefin?«, fragte er stets schon beim Hereinkommen. Sie wusste, was ihm schmeckte, und brachte es ihm, ohne dass er bestellen musste. Isländisches Mineralwasser fand Bobby aus unerfindlichen Gründen ekelerregend, er trank nur Bier oder Tee. Nachdem er etwa ein Jahr lang ins Krua Thai gekommen war, fragte Sonja vorsichtig an, ob er für ein Foto mit ihr posieren würde. Er verweigerte ihr jedoch die Bitte.
    Selbst seine engsten Freunde wussten nichts vom Krua Thai, denn obwohl Bobby sich oft einsam fühlte, aß er in der Regel lieber allein. Wie Thomas Jefferson im Weißen Haus genoss er seine eigene Gesellschaft, die Gelegenheit, zu schmökern, nachzudenken oder Erinnerungen nachzuhängen. Einsam fühlte er sich paradoxerweise meist ausgerechnet dann, wenn er sich in Gesellschaft befand.
    Bobby brauchte seine Privatsphäre, lechzte aber gleichzeitig – schon seit Kindesbeinen – nach Anerkennung von außen. Dieser Konflikt zerriss ihn regelrecht. Er sehnte sich danach, wahrgenommen, gepriesen, geliebt zu werden. Einmal fragten ihn Touristen nach dem Weg. Hinterher beklagte er sich bei Einarsson: »Mann, die haben mich nicht erkannt. Dabei waren sie Amerikaner !« Einmal nahm er den Bus nach Grindavík. Das Fischerdorf nahe der berühmten Blauen Lagune hat eine Thermalquelle, in der Bobby liebend gerne badete. Nach ein paar Tagen erkundigte sich die Kellnerin seines dortigen Stammrestaurants: »Sind Sie berühmt?« Spürte sie Bobbys Ruhm, oder hatte sie sein Bild in einer Zeitung gesehen? »Vielleicht«, antwortete er kokett. »Wofür denn?«, fragte sie. »Ein Brettspiel.« Die junge Frau dachte einen Augenblick nach, dann fiel es ihr ein: »Sie sind Mr. Bingo!« Bobby war erschüttert.
    Bobby aß weiter auch im Anestu Grösum, ging neuerdings aber danach auf lange Spaziergänge um den Stadtteich, wo er Kindern zusah, wie sie Enten, Gänse und verliebt schnatternde Schwäne mit ineinander verschlungenen Hälsen fütterten. Erst dann machte er sich

Weitere Kostenlose Bücher