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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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allmählich auf Richtung Bibliothek. Seine Spaziergänge waren meist ziellos und stellten für Bobby eine Art Meditation dar, eine Chance, die Gedanken treiben zu lassen. Selbst im bitterkalten Winter ging er lange spazieren. Da die meisten Parks Bänke hatten, setzte er sich bei schönem Wetter hin, las, dachte nach und war einfach, nicht untypisch für einen Mann an der Schwelle zum Alter.
    Manche Isländer behaupteten, sie hätten Bobby spät nachts gesehen; geistgleich habe er die verlassenen, windgepeitschten Straßen am Alten Hafen durchstreift (wie Charles Dickens die Londoner Docks), tief in Gedanken versunken, leicht humpelnd, aber schnellen Schrittes, einsam und allein, als wandele er durch die öden Lavafelder im Inneren der Insel. Bobbys nächtliche Wanderungen waren das Echo der Nachtspaziergänge, wie er sie in New York und Pasadena gemacht hatte, und Folge seines Tagesrhythmus seit Kindesbeinen: Aufbleiben bis zur Morgendämmerung, danach Schlafen bis zum Nachmittag.
    Gut möglich, dass Bobby eineinhalb Jahre nach seiner Ankunft in Keflavík begann, Island als seine private Teufelsinsel zu empfinden, von der es kein Entrinnen gab. David Oddsson glaubte, dass Fischer sich in Island und speziell in Reykjavik »eingesperrt« fühlte. »Ich bin Stadtmensch«, erklärte Oddsson, »und verbringe den Großteil meiner Zeit in Reykjavik. Aber wenn ich nie aufs Land hinaus könnte, würde mir die Decke auf den Kopf fallen. Fischer geht es mit Island wahrscheinlich genauso.« Gardar Sverrisson bestätigte, Bobby habe Island als »Gefängnis« empfunden.
    Nach zwei Jahren im Land meckerte Bobby daher immer lauter über die Insel und ihre Bürger. Er vermisste seine Freunde auf dem europäischen Festland und in Asien, traute sich aber aus Angst vor einer Auslieferung nicht außer Landes. Interpol hatte ihn an 368 Flughäfen in aller Welt zur Fahndung ausgeschrieben.

    Es fiel Bobby schwer, eine dauerhafte Bleibe in Reykjavik zu finden. Die erste Wohnung, möbliert untervermietet, konnte er nur für ein halbes Jahr haben. Ansonsten war sie ideal: Sie lag zentral, hatte ein wenig Aussicht und eine Terrasse, vor allem aber ließen sich Läden und Restaurants gut zu Fuß erreichen. Da Bobby nie selbst kochte, war es für ihn wichtig, in der Nähe von Restaurants zu wohnen. »Essen bedeutete ihm sehr viel«, erzählte Zsuzsa Polgár von seiner Zeit in Ungarn. Ruhige Mahlzeiten und gutes Essen waren ihm immer wichtig gewesen.
    Als die Eigentümerin der Wohnung wie geplant nach einem halben Jahr wiederkam, sträubte Bobby sich, die Wohnung zu räumen. Er wusste zwar, dass er ausziehen musste, wollte sein gemütliches Heim aber nicht aufgeben. Einarsson schaffte es tatsächlich, die Eigentümerin zu überreden, Bobby weitere sechs Monate bleiben zu lassen. Doch danach brauchte er definitiv etwas Neues. Einarsson und Sverrisson begleiteten Bobby diesmal auf Wohnungssuche. Die gestaltete sich nicht ganz einfach, weil Bobby sich nur mit einer perfekten Wohnung zufriedengeben wollte. Und so fand er überall etwas auszusetzen: Eine Wohnung lag zu nah an einer Kirche; da fürchtete er, von den Glocken geweckt zu werden. Die nächste hatte zu viele Fenster zur Straße; da sorgte er sich um seine Privatsphäre. Eine dritte war »zu hoch« droben, im neunten Stock; auf einen Lift wollte er nicht angewiesen sein. Die vierte schien auf den ersten Blick zwar ideal, doch Bobby beanstandete, »irgendetwas stimmt mit der Luft nicht«. Er behauptete, es schmerze ihn in den Lungen, hier zu atmen. Bei der Besichtigung einer fünften Wohnung überflog gerade ein Jet das Haus – sie wurde als »zu laut« abgelehnt. Dann gefiel ihm endlich einmal eine Wohnung. Bobby erklärte, sie habe »Möglichkeiten«. Doch seine beiden Freunde waren entsetzt: Sie lag direkt unterhalb eines Sexshops. Bobby indes störte das nicht; schließlich würde der Laden erst nachmittags öffnen, morgens wäre es also ruhig. Erst als Einarsson und Sverrisson ihn warnten, dass die Wohnung sich in sehr schlechtem Zustand befinde und für Zigtausende Dollar renoviert werden müsse, gab Bobby die Idee schließlich auf.
    Letztlich entschied er sich für eine Wohnung in der Espergerdi-Straße. Gardar Sverrisson wohnte im gleichen Haus; vielleicht gab das den Ausschlag. Denn ansonsten entsprach die Wohnung nicht Bobbys Ideal: Um ins Stadtzentrum zu kommen, musste man den Bus nehmen. Außerdem befand sich die Wohnung im neunten Stock (was ihm früher »zu hoch« gewesen

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