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Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer

Titel: Endspiel - Genie und Wahnsinn im Leben der Schachlegende Bobby Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Brady
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Lobeshymnen und sein wachsendes Ansehen in der Schachwelt hatten zu seinem neuen Selbstbewusstsein beigetragen. Klar, er war erst 13. Doch wenn er Erwachsene im Schach schlagen konnte, sollte man ihn dann nicht auch wie einen Erwachsenen behandeln? Er bat seine Mutter, ihn abends nicht mehr vom Schachclub abzuholen, das sei ihm peinlich. »Einverstanden«, sagte sie. »Du darfst allein heimfahren, aber unter zwei Bedingungen. Erstens kommst du nicht später als zehn Uhr, wenn am nächsten Tag Schule ist, und sonst nicht später als Mitternacht. Und du musst zur Selbstverteidigung Jiu-Jitsu lernen.« Widerwillig stimmte Bobby dem Geschäft zu. Zum Jiu-Jitsu-Unterricht musste er dann aber doch nie: Unterrichtsstunden kosteten mindestens acht Dollar – Geld, das Regina schlicht nicht hatte. Doch Geschäft ist Geschäft, und so fuhr Bobby in Zukunft allein nach Hause. Das Schlimmste, was ihm je passierte, war, dass jemand auf seine frisch gewienerten Schuhe stieg – absichtlich , wie Bobby meinte.

    » Me llamo Bobby Fischer.«
    Wenige Wochen nach Bobbys Abenteuer in Montreal begann die Highschool. In den ersten Unterrichtswochen schaute Bobby kein einziges Mal in sein Spanischbuch, El Camino Real . Zwei Stunden hatte er komplett geschwänzt, und jetzt kam der erste Test. In Kuba hatte Bobby zwar ein wenig auf Spanisch geradebrecht, aber für die Anforderungen der Schule reichte das nicht. Sechs von zehn Fragen beantwortete Bobby falsch, den Rest gar nicht.
    In einem Sprachtest durchzufallen, gehörte im Haus der Familie Fischer zu den unverzeihlichen Verfehlungen. Regina hatte Unterricht in Latein, Hebräisch, Russisch, Deutsch, Französisch und Spanisch gehabt und sprach die meisten dieser Sprachen fließend (ihr Jiddisch reichte nur für einfache Alltagssituationen). Joan belegte in der Highschool Spanisch und Deutsch und sprach beides ganz ordentlich. »Fleiß!«, brüllte Regina Bobby an, und meinte: Wenn du nur einen winzigen Teil der Energie, die du ins Schach steckst, für die Schule verwenden würdest, wärst du überragend. Immer wieder predigte sie ihm, wie wichtig Fremdsprachen seien, gerade wenn er vorhatte, im Ausland Schach zu spielen. Bobby verstand. Um ihn auf Trab zu bringen, begann Regina, Spanisch mit ihm zu reden. Sie nötigte ihn, ins Lehrbuch zu schauen, übte mit ihm, und bald verbesserten sich auch Bobbys Noten. Am Ende beherrschte er die Sprache fließend.
    Die Erasmus Hall High School, die Bobby ab Herbst 1956 besuchte, gehörte zu den größten von ganz New York und zu den ältesten des Landes. Mit über 5000 Schülern glich sie einer Lernfabrik. Bobby fühlte sich ganz wohl dort. Ihm gefiel vor allem die Anonymität: »Da sich praktisch niemand an der Schule für Schach interessierte, wusste keiner, wer ich war. Das passte mir prima.« Das glaubte Bobby zumindest. In Wirklichkeit wussten Mitschüler und Lehrer sehr wohl, wer er war. Das war ja auch kaum zu übersehen: Die New Yorker Zeitungen brachten regelmäßig bebilderte Artikel über das Wunderkind, Bobby spielte mehrere Simultanschach-Schaukämpfe vor Publikum, sein Bild prangte auf dem Titelblatt der Chess Review , er trat sogar mit Arlene Francis in der Fernsehsendung Home auf. Über seine scheinbar desinteressierten Klassenkameraden sagte Bobby: »Ich ließ sie in Ruhe, und sie ließen mich in Ruhe.« Er bemerkte offenbar gar nicht, dass eine Mitschülerin ihn heimlich anhimmelte: Barbra Streisand. Die Schauspielerin und Sängerin erinnerte sich später: »Bobby war immer allein und ganz anders. Aber ich fand ihn sexy.« Bobbys Erinnerung an Streisand? »Da war dieses unscheinbare Mädchen …« Zumindest einige seiner Lehrer beschwerten sich über Bobbys Unnahbarkeit und sein Desinteresse am Unterricht.

    Oktober 1956
    Laub aufwirbelnd lief Bobby eine baumbestandene Straße hinunter, sprang die mit rotem Teppich ausgelegten Stufen zum Marshall Schachclub hoch und betrat die Große Halle. Es war nicht sein erster Besuch. In letzter Zeit war er relativ häufig im Marshall, dem zweiten großen Schachclub New Yorks, Gast gewesen. Er genoss das berauschende Gefühl, dem engsten Schachzirkel anzugehören, und träumte davon, sich selbst in den Annalen des Schachs zu verewigen.
    Der Club lag in der Tenth Street, zwischen der Fifth und Sixth Avenue, an einer der nobelsten Adressen Manhattans. Er residierte in einem ehrwürdigen Sandsteinbau von 1832, den eine Gruppe reicher Spender 1931 gekauft hatte, damit der von ihnen verehrte Frank

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