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Endstadium

Endstadium

Titel: Endstadium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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gedämpft den Schlussbeifall für die Band.
    »Das Ruhrgebiet wird nie meine Heimat«, sagte Marie leise.
    »Es gibt solche und solche«, erwiderte Stephan unbestimmt. Wie oft hatten sie darüber geredet, dass Marie zwar ihre Heimat nicht mehr im Münsterland sehe, wo sie geboren war, aber in Dortmund keine Heimat finden könne. Sie sagte so etwas immer, wenn sie auf Leute wie die Polloscheks trafen. »Sie sind alle gleich«, sagte sie dann. Stephan redete nicht mehr dagegen an. Als wenn es die Polloscheks nicht auch in Hamburg oder München gäbe.
     
    Schräg gegenüber hob Polloschek erneut sein Glas, doch Stephan reagierte nicht. Er fasste Marie an die Hand und drückte sie fest. Die Balkonbeleuchtungen erloschen. Es wurde Nacht im Dorf des Grafen. Die Kathedralentürme ragten wie schwarze Finger in den Himmel.
     
     

9
    Stephan erschien am nächsten Tag pünktlich um Viertel vor zehn in Rosells Haus. Seine Frau hatte das Bett frisch bezogen. Sie hatte die schneeweiße, nach parfümiertem Waschmittel duftende Bettdecke Justus Rosell bis vor das Kinn gezogen. Der Propeller an der Decke drehte schneller als gestern und fächerte die Luft mit gleichmäßigen Schlägen durch das Zimmer. Julita Rosell hatte das zum Atlantik weisende Fenster weit geöffnet. Unterhalb dieses Fensters – ein ganzes Stück weiter unten auf der Strandpromenade – mussten Menschen sein. Man hörte Wortfetzen aus der leichten Plauderei der vorbeischlendernden Touristen, manchmal auch Gelächter. Hinten auf dem weiten Blau des Atlantiks glitten Segelboote. Ein Wasserskifahrer kreuzte hinter dem ziehenden Boot und sprang über die Wellen. Im Hintergrund standen grau und monströs die Silos der Industrieanlage. An der anderen Wand, unterhalb des auf den Hang hinausgehenden Fensters, stand nun der Besuchertisch mit zwei Stühlen. Julita Rosell hatte einige Fotos aus früheren glücklichen Zeiten wie wahllos auf dem Tisch verteilt. Die Plätze an dem Tisch waren vorbestimmt. Stephan würde mit dem Rücken zur hinteren Wand sitzen, von wo er ständigen Blickkontakt zu Justus Rosell halten konnte. Der Journalist würde direkt unter dem Fenster sitzen, gerade eben vom Licht der einfallenden Sonne erfasst, die während der von Muße getriebenen Stunden über die rotbraunen Gebirge und staubigen Täler der Insel auf deren westliche Seite wanderte. Der Mandant lag im Schatten.
    »Mein Mann hatte eine schlechte Nacht«, sagte seine Frau, richtete wieder seine Bettdecke und ließ eine Tablette in ein Wasserglas fallen, wo sie sich sprudelnd zersetzte. »All das sind Mittel, die uns suggerieren, als sei noch etwas zu retten«, erklärte sie, »aber wer weiß – es reicht uns mittlerweile, wenn sie helfen, ihm die nächsten Stunden zu erleichtern.«
    Sie ordnete geschäftsmäßig die wenigen Utensilien, die im Zimmer herumstanden. Rosell lag still mit geschlossenen Augen da. Er atmete ruhig und gleichmäßig. Seine Frau ging in regelmäßigen Abständen zu ihm und fühlte seine Stirn. Einmal verließ sie für einige Augenblicke den Raum und kam mit einer Kanne Tee, zwei Gläsern und Gebäck zurück. Alles war für den Journalisten arrangiert.
    »Meinen Sie nicht, dass es Ihren Mann anstrengen wird?«, fragte Knobel.
    Der Patient lag ruhig atmend in seinem Bett. Von der Küstenpromenade drangen keine Geräusche mehr zu ihnen. Nur das Wasserskiboot rauschte aufheulend durch die leichte Brandung, schlug sanft auf das Wasser auf und stand mit dem Propeller im Wettstreit, der monoton an der Decke kreiste.
    »All das als Rache für einen Arzt, der stets seine Verantwortung bestritten hat?«, fragte Stephan und vermied, Julita Rosell ins Gesicht zu sehen. Sie traf geschäftig letzte Vorkehrungen für den Medienbesuch.
    »Stellen Sie sich vor, Ihnen wäre widerfahren, was mein Mann durchleiden muss. Denken Sie daran, dass ihn das Schicksal nicht von außen ereilt, sondern dass es einen Menschen gibt, der all das zu verantworten hat. – Wie würden Sie handeln, Herr Knobel?«
    Sie lächelte. Stephan verstand, dass sie stets so lächelte, wenn sie etwas sagte, das ein Außenstehender nicht entkräften konnte. Er – Stephan – war Außenstehender – und zugleich als Anwalt Vertreter seines sterbenden Mandanten und allein deshalb mehr als ein Anwalt. Er musste desto mehr in seinen Mandanten hineinwachsen, je mehr diesen die Kräfte verließen. Stephan würde mehr und mehr die Stimme seines Mandanten sein müssen. In ihm sollte Justus Rosell weiterleben und

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