Endstadium
mit diesen Dingen auseinandersetzen«, wiederholte sie. »Und wenn es gar nicht anders geht, soll Hobbeling eine Form der Entschuldigung bekommen«, setzte sie resignierend hinzu.
Stephan bestätigte, was sie wollte, und empfand eine eigenartige Distanz zu ihr. Bevor er das Grundstück verließ, schaute er zurück auf das Fenster, hinter dem Justus Rosells Zimmer lag. Die Vorhänge waren zugezogen, das Fenster nicht einmal einen Spalt geöffnet. Ob drinnen die Blätter des Ventilators kreisten? Ob Justus Rosell überhaupt in dem Zimmer war? Stephan fiel auf, dass er in der Wohnung keinen Rollstuhl gesehen hatte. Wenn Rosell so geschwächt war, musste er auf diese Hilfe angewiesen sein. Wie kam er zur Toilette? Stand er für das Essen auf? Dämmerte er nur vor sich hin? Julita Rosell hatte seine Frage nach den Medikamenten nicht erschöpfend beantwortet. Aber er hatte auch nicht hartnäckig nachgefragt. Justus Rosell galt in der öffentlichen Darstellung als jemand, der die Ärzte mied. Das mochte so sein. Aber die Präparate, die seine letzten Tage erleichtern sollten, waren mit Sicherheit verschreibungspflichtig. Woher hatte er sie? Welche Schmerzmittel nahm er?
15
Stephan telefonierte vom Hotelzimmer aus mit Dr. Schreiber. Sie einigten sich schnell auf 200.000 Euro Schadenersatz für Hobbeling.
»Am Ende bekomme ich immer, was ich will«, dröhnte der Anwalt. »200.000 Euro für alle Schäden, die mein Mandant in Vergangenheit und Gegenwart durch Ihren Auftraggeber erlitten hat und noch erleiden wird. Das ist eine runde Sache, durchaus gerecht.«
Stephan sah vor seinem geistigen Auge, wie sich Dr. Schreiber die Hände rieb.
»Es war goldrichtig, in der Forderungshöhe richtig zuzulangen. Was jetzt rauskommt, passt.« Er schnarrte zufrieden am Telefon.
Schwieriger war die der Rehabilitation dienende Entschuldigung gegenüber Hobbeling. Stephan konnte durchsetzen, dass das Wort Entschuldigung seitens Justus Rosell nicht wörtlich benutzt werden müsse, sondern inhaltsgleich umschrieben werden könne. Am Ende hatten sie den Wortlaut des angedachten Gesprächs zwischen Rosell und Hobbeling im Detail ausgehandelt und wie ein Rollenspiel vorbereitet.
»Der Deal muss beiden Seiten gerecht werden«, resümierte Dr. Schreiber immer wieder. Überraschend schlug er vor, die Presse bei dem Gespräch außen vor zu lassen.
»Es macht sich nicht gut, wenn ein Sterbender so präsentiert wird«, meinte er, doch sein Wunsch erklärte sich sofort: »Am Ende sympathisieren die Leute schon aufgrund des Verfalls mit Rosell und verstehen das Ganze nicht mehr als Entschuldigung gegenüber Hobbeling, sondern eher als großherzige und fast übermenschliche Verzeihung des Sterbenden gegenüber meinem Mandanten. Das konterkariert die Botschaft. Irgendwie ist das Mitleid in unserer Gesellschaft immer ein unkalkulierbarer Faktor. Das Risiko ist mir zu groß, verstehen Sie, Kollege Knobel?«
»Wie kommen Sie auf so was?«, fragte Stephan.
»Ein Gedanke, auf den mich Hobbeling gebracht hat. Durchaus richtig. Wir müssen das psychologische Moment beachten. Also: Hobbeling und ich werden morgen nach Gran Canaria kommen. Wir beide, verehrter Kollege, werden dem Gespräch der Kontrahenten beiwohnen. Und ich werde danach eine Presseerklärung abgeben. Kein Bild mehr von Rosell in der Presse. Wir sehen uns unter der Sonne des Südens, Herr Knobel. Außergewöhnliche Sache. Ich bin in meinem ganzen langen Berufsleben noch nicht dienstlich auf den Kanaren gewesen.«
Stephan rief Marie vom Hotelzimmer aus an. Sie berichtete, dass Rosells Tiefbaufirma in der Branche keinen guten Ruf mehr genoss. Sie hatte sich bei verschiedenen örtlichen Baufirmen als Interessentin für die Errichtung eines Einfamilienhauses ausgegeben und erklärt, dass sie die Tiefbauarbeiten der Firma Rosell übertragen wolle. Fast alle hätten abgeraten, erklärte sie. In der Branche kursiere seit Längerem das Gerücht, dass die Firma kurz vor der Insolvenz stehe. Als sie endete, schwieg Stephan.
»Warum sagst du nichts?«, fragte sie.
»Du kannst dich nicht von dem Gedanken lösen, dass Rosell nur spielt. Denk mal darüber nach, welch ungeheuerlichen Vorwurf du erhebst.«
»Ich forsche nur nach, Stephan«, verteidigte sie. »Es existieren einige Ungereimtheiten. Und der Zweifel ist doch längst auch in dir erwacht, Stephan, ich spüre es. Du erzählst ja gar nichts von dem Treffen mit Rosell. Lass mich raten: Du hast ihn nicht persönlich gesehen …«
Er
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