Endstation Färöer
aufgerissenen Augen immer noch die Angst stand. Eine Angst, die so groß war, dass sie ihn bis in den Tod verfolgt hatte. Zwei dünne Eisenstangen waren in die Nasenlöcher hineingebohrt worden, bis ins Gehirn hinauf. Ein schmales Blutrinnsal lief über die Oberlippe in den Mund.
Andreas-Petur sah aus wie ein verstümmeltes Walross. Seine Mörder hatten nichts gesucht. Sie wollten keine Informationen. Das war Strafe und Folter, mehrere Stunden lang nur zum Vergnügen ausgeführt.
29
In meiner Wohnung genehmigte ich mir zuerst einen extragroßen Whisky, danach noch einen von gewöhnlicher Größe. Dann setzte ich mich in den Sessel, um nachzudenken.
Die Polizei hatte mir nicht viele Fragen gestellt, aber der Leiter der Kriminalpolizei, Piddi í Utistovu, murmelte etwas dahingehend, dass er genug von mir hatte, und bat einen Beamten, mich aus seinem Gesichtsfeld zu entfernen. In der Skálatrøð lief ich Karl in die Arme, der mich fragte, woher ich überhaupt wissen konnte, dass Andreas-Petur sich auf seinem Boot aufhielt. Ich versuchte, mich herauszureden, aber Karl ließ mich ohne ein weiteres Wort stehen. Jetzt glaubte auch er noch, ich hätte ihn angelogen. Und genau das hatte ich ja auch. Wenn ich so weitermachte, würde ich nicht die geringste Chance haben, zum beliebtesten Mann des Jahres von Tórshavn gewählt zu werden. Nun ja, ich wohnte ja sowieso in Kopenhagen und konnte hier gar nicht mitmachen.
»Und was jetzt?«, fragte ich laut in dem leeren Zimmer. Aber niemand antwortete und nach einer Weile gab ich jede Hoffnung auf eine Offenbarung auf und machte mich stattdessen daran, meine eigenen Gedanken und Informationen zu ordnen.
Eins war klar: Ich wollte nicht aufgeben. Ich hatte Angst, ja. Aber meine Sturheit war größer als die Angst. Außerdem flüsterte mir ein einschmeichelnder Fatalismus ins Ohr, dass ich ja sowieso keine Familie hatte und es nur mich treffen würde, was auch immer geschah. Diese Arschlöcher durften unter keinen Umständen ungestraft aus dem Land entkommen. Letzteres flüsterte ich mir selbst zu, um meiner Entscheidung Nachdruck zu verleihen. Im selben Augenblick sah ich das Bild des nackten Andreas-Petur vor mir und es lief mir eiskalt den Rücken hinunter.
Eine Weile schickte ich meine Gedanken in alle möglichen Richtungen, nur nicht runter nach Skálatrøð.
Dann nahm ich meine Überlegungen wieder auf. Es waren zwei Fragen zu klären. Erstens: Was hatte Hugo im Ausland gemacht? Zweitens: Was trieb die Eva oben im Norden?
Zunächst zu Hugo. Ich rief ein Reisebüro an, in dem ich ein Mädchen kannte. Es war schon ein paar Jahre her, aber vielleicht würde sie mir ja trotzdem einen Gefallen tun. Die Polizei hätte ich jetzt nicht einmal nach der Uhrzeit gefragt.
»Ach, mein Guter, bist du’s wirklich? Ich dachte schon, wir wären nicht fein genug für dich.«
Ihre Stimme klang beschwingt und lebendig, aber ich verstand die Spitze. Sicher war ich letztes Mal abgereist, ohne mich zu verabschieden.
»Hör mal, ich wollte dich um einen Gefallen bitten. Dafür werde ich dich ausführen, wenn du das nächste Mal nach Kopenhagen kommst.«
»Meinst du, das reicht?« Jetzt neckte sie mich.
»Du weißt doch, es gibt keine Grenzen für das, was ich für dich tun würde, du Weib des Mutterlandes«, spielte ich mit.
Kichern war zu hören.
»Um was geht’s?«, fragte sie lachend.
»Um Hugo, Hugo Jensen, er war letzte Woche in Dänemark. Kannst du mir sagen, ob er nur bis Kopenhagen gebucht hat oder ob er noch weiter geflogen ist?«
»Hannis«, sagte sie, jetzt ernster. »Du weißt genau, dass ich keine Informationen über unsere Kunden herausgeben darf.«
»Das weiß ich. Und ich hätte dich auch nicht darum gebeten, wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte. Du hast doch gehört, dass Hugo tot ist, oder?«
»Ich hab’s im Radio gehört, auch das von Sonja.« Sie schwieg einen Moment und sagte dann: »Meinst du …?«
»Ja«, sagte ich.
»Ich rufe zurück«, sagte sie.
Während ich wartete, kochte ich mir einen Kaffee. Entweder ging ich jetzt ins Bett oder ich fuhr gen Norden nach Eiði oder Tjørnuvík. Ich entschied mich, meine angeborene Faulheit zu überwinden und nordwärts zu fahren. Sjeyndir spukte in meinem Kopf herum und es war nicht undenkbar, dass jemand in den nördlichsten Ortschaften etwas zu erzählen hatte.
Das Telefon klingelte.
»Hugo ist nach Wien weitergeflogen, wo er …«, ich hörte sie blättern, »sich zwei Tage aufgehalten hat, und
Weitere Kostenlose Bücher