Endstation für neun
leicht, und sie hatte tiefe Ringe unter den Augen.
»Ja, natürlich«, sagte sie. »Ich verstehe. Es macht nichts, dass Sie kommen. Ich habe ohnehin nur hier gesessen, seit… nun ja, seit ich es erfahren habe… Ich habe hier gesessen und zu verstehen versucht… zu begreifen versucht, dass es wahr ist…«
»Fräulein Torell«, sagte Kollberg, »haben Sie niemanden, der herkommen und bei ihnen bleiben kann?« Sie schüttelte den Kopf.
»Nein. Ehrlich gesagt möchte ich auch nicht, dass jemand hier ist.«
»Ihre Eltern?«
Sie schüttelte erneut den Kopf.
»Mama ist letztes Jahr gestorben. Und Papa ist schon seit zwanzig Jahren tot.« Martin Beck beugte sich vor und sah sie forschend an.
»Konnten Sie ein wenig schlafen?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht. Die Männer, die… die gestern hier waren, haben mir zwei Tabletten dagelassen, also werde ich wohl etwas geschlafen haben. Das ist nicht so wichtig. Ich komme schon zurecht.«
Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, senkte den Blick und murmelte:
»Ich muss einfach nur versuchen, mich an-den Gedanken zu gewöhnen, dass er tot ist. Das braucht vielleicht seine Zeit.« Weder Martin Beck noch Kollberg fiel etwas ein, was sie sagen konnten. Martin Beck merkte plötzlich, dass die Luft stickig war und voller Zigarettenrauch hing. Eine bedrückende Stille senkte sich auf den Raum herab. Schließlich räusperte sich Kollberg und sagte mit Grabesstimme:
»Fräulein Torell, hätten Sie etwas dagegen, dass wir Ihnen ein paar Fragen zu Stenstr… zu Ake stellen?« Äsa Torell blickte langsam auf. Plötzlich begannen ihre Augen zu leuchten, und sie lächelte.
»Ihr glaubt ja wohl nicht, dass ich euch Kommissar und Erster Kriminalassistent nennen werde«, sagte sie. »Ihr müsst mich wirklich Äsa nennen, denn ich habe jedenfalls vor, euch zu duzen. In gewisser Weise kenne ich euch ja schon ziemlich gut.«
Sie sah die beiden neckisch an und ergänzte:
»Durch Äke. Er und ich sind uns recht häufig begegnet. Wir wohnen hier schon ein paar Jahre.«
Die Herren Bestatter Kollberg und Beck, dachte Martin Beck. Jetzt reißt euch mal zusammen. Das Mädchen ist in Ordnung.
»Wir haben auch schon von dir gehört«, erwiderte Kollberg in einem einigermaßen leichten Ton.
Äsa stand auf und öffnete ein Fenster. Dann nahm sie den Aschenbecher und ging mit ihm in die Küche. Das Lächeln war verschwunden und hatte einem entschlossenen Zug um den Mund Platz gemacht. Sie kehrte mit einem neuen Aschenbecher zurück und setzte sich wieder in den Sessel. »Würdet ihr mir bitte erzählen, wie es dazu gekommen ist?«, fragte sie. »Was eigentlich passiert ist? Ich habe gestern nicht viel erfahren und nicht vor, die Zeitungen zu lesen.« Martin Beck zündete sich eine Florida an. »Okay«, sagte er.
Sie saß vollkommen reglos da und sah ihn unverwandt an, während er erzählte. Er ließ gewisse Details aus, gab den Ablauf der Ereignisse ansonsten jedoch so weit wieder, wie sie ihn rekonstruieren konnten. Als er fertig war, sagte Äsa: »Wo wollte Äke hin? Warum ist er überhaupt mit diesem Bus gefahren?«
Kollberg warf Martin Beck einen Blick zu und sagte: »Wir hatten gehofft, du könntest uns das erzählen.« Äsa Torell schüttelte den Kopf.
»Ich habe keine Ahnung.«
»Weißt du, was er gestern tagsüber gemacht hat?«, fragte Martin Beck. Sie sah ihn erstaunt an.
»Wisst ihr das denn nicht? Er hat doch den ganzen Tag gearbeitet. Ihr solltet ja wohl wissen, was er so getrieben hat, oder?«
Martin Beck zögerte einen Moment. Dann sagte er:
»Ich habe ihn am Freitag zum letzten Mal lebend gesehen. Er war am Vormittag kurz im Büro.«
Sie stand auf und ging ein paar Schritte durchs Zimmer. Dann drehte sie sich um.
»Aber er hat doch am Samstag und am Montag gearbeitet. Wir haben Montagmorgen zusammen das Haus verlassen. Was ist mit dir, bist du Ake am Montag nicht begegnet?« Sie starrte Kollberg an, der den Kopf schüttelte und nachdachte.
»Hat er gesagt, dass er nach Västberga rausfährt?«, fragte Kollberg. »Oder in die Kungsholmsgatan geht?« Äsa dachte einen Moment nach.
»Nein, davon hat er nichts gesagt«, sagte sie. »Das könnte die Sache natürlich erklären. Er war sicher in der Stadt und hat da irgendwas erledigt.«
»Hast du eben gesagt, dass er auch am Samstag gearbeitet hat?«, fragte Martin Beck. Sie nickte.
»Ja, aber nicht den ganzen Tag. Wir sind morgens zusammen aus dem Haus gegangen, und ich hatte um eins Feierabend und bin
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