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Endstation für neun

Endstation für neun

Titel: Endstation für neun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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Umstellung auf den Rechtsverkehr war ein skandalöser Fehler gewesen, der die Situation in einer bereits undisziplinierten und moralisch zerrütteten Gesellschaft noch zusätzlich verschlimmert hatte.
    »Außerdem wächst dadurch die Promiskuität«, sagte er. »Du verstehst schon, was ich meine, oder?«
    »Bitte?«, fragte Rönn.
    »Die Promiskuität. All die neuen Wendeplätze und Parkmöglichkeiten an den Hauptverkehrsadern. Du verstehst schon, was ich meine, oder?«
    Er war ein Mann, der das meiste wusste und alles verstand. Ein einziges Mal sah er sich gezwungen, Rönn um eine Erklärung zu bitten. Es fing damit an, dass er sagte: »Wenn man sieht, wie verlottert hier alles ist, sehnt man sich zurück zur Natur. Ich würde mich wirklich gern in die Bergwelt zurückziehen, wenn es in Lappland nicht überall von Lappen wimmeln würde. Du verstehst schon, was ich meine, oder?«
    »Ich bin mit einer samischen Frau verheiratet«, erwiderte Rönn. Ullholm betrachtete ihn mit einer eigenartigen Mischung aus Abscheu und Neugier, senkte die Stimme und sagte: »Äußerst eigentümlich und interessant. Stimmt es, dass die Möse bei den Lappenfrauen quer liegt?«
    »Nein«, antwortete Rönn müde. »Es stimmt nicht. Aber es ist eine weitverbreitete Wahnvorstellung.«
    Rönn fragte sich, warum der Mann nicht schon vor Jahren ins Fundbüro versetzt worden war.
    Ullholm redete praktisch ununterbrochen und schloss jede seiner prinzipiellen Aussagen mit den Worten ab: Du verstehst schon, was ich meine, oder? Rönn verstand nur zwei Dinge.
    Erstens: Was in der Ermittlungszentrale passiert war, als er die unschuldige Frage stellte:
    »Wer hält eigentlich im Krankenhaus Wache?«
    Kollberg hatte gleichgültig in seinen Papieren gewühlt und geantwortet:
    »Ein gewisser Ullholm.«
    Der Einzige, dem dieser Name etwas sagte, war offenbar Gunvald Larsson, der sofort losschrie: »Was? Wer?«
    »Ullholm«, wiederholte Kollberg.
    »Das darf nicht sein! Wir müssen eine Art Überwacher hinschicken. Jemanden, der halbwegs bei Verstand ist.« Rönn hatte sich also als diese Person erwiesen, die halbwegs bei Verstand war. Er hatte, immer noch unschuldig, gefragt: »Soll ich ihn ablösen?«
    »Ablösen? Nein, unmöglich. Dann fühlt er sich übergangen. Schreibt Hunderte von Beschwerden. Zeigt das Reichspolizeiamt beim Justizombudsmann an. Ruft den Minister an.« Und als Rönn schon halb aus der Tür war, gab Gunvald Larsson ihm noch eine letzte Anweisung. »Einar!«
    »Jau.«
    »Sorg dafür, dass er kein Wort zu dem Zeugen sagt, ehe du nicht dessen Totenschein gesehen hast.«
    Zweitens: dass er irgendwie diesen Redestrom zum Versiegen bringen musste. Schließlich fiel ihm dafür auch eine theoretische Lösung ein. In die Praxis umgesetzt, funktionierte sie wie folgt. Ullholm beendete eine längere Erläuterung mit den Worten:
    »Es versteht sich doch von selbst, dass ich als Privatperson und Konservativer, als Bürger in einem freien demokratischen Land, zwischen den Menschen nicht den geringsten Unterschied aufgrund ihrer Hautfarbe, Rasse oder Denkweise mache. Aber jetzt stell dir doch mal eine Polizei vor, in der es von Juden und Kommunisten nur so wimmelt. Du verstehst schon, was ich meine, oder?«
    Woraufhin Rönn sich hinter seinem Mundschutz bescheiden räusperte und sagte:
    »Jau. Aber ich bin ehrlich gesagt selber so ein Sozialist, also…«
    »Kommunist!?«
    »Jau. Genau.«
    Ullholm verfiel augenblicklich in düsteres Schweigen und trat ans Fenster.
    Dort hatte er nun die letzten zwei Stunden gestanden und verbittert in die böse, verräterische Welt hinausgestarrt. Schwerin war dreimal operiert worden; man hatte die beiden Kugeln aus seinem Körper entfernt, aber keines der beiden Operationsteams hatte einen sonderlich optimistischen Eindruck gemacht, und die einzige Antwort, die Rönn auf seine verzagten Fragen bekommen hatte, bestand im Großen und Ganzen aus Schulterzucken.
    Vor etwa einer Viertelstunde war jedoch einer der Chirurgen in das Isolierzimmer gekommen und hatte gesagt:
    »Wenn er überhaupt wieder zu Bewusstsein kommen soll, muss es bald passieren. In der nächsten halben Stunde.«
    »Wird er durchkommen?«
    Der Arzt sah Rönn lange an und sagte:
    »Das halte ich eher für unwahrscheinlich. Obwohl, er hat einen robusten Körper, und sein Allgemeinzustand ist recht gut.« Rönn betrachtete niedergeschlagen den Patienten und fragte sich, wie man wohl aussehen musste, damit der Allgemeinzustand als weniger gut oder

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