Endstation für neun
Kristineberg untergebracht waren. Er hatte gesagt:
»Warum hackst du die ganze Zeit auf dem Jungen herum?« Und Kollberg hatte geantwortet:
»Um sein gespieltes Selbstvertrauen zu brechen. Um ihm die Chance zu geben, ein neues aufzubauen. Damit er mit der Zeit ein guter Polizist werden kann. Und weil er lernen soll, anzuklopfen.«
Möglich, dass Kollberg damals recht hatte. Jedenfalls hatte Stenström sich im Laufe der Jahre entwickelt. Und obwohl er nie lernte anzuklopfen, war er ein guter Polizist geworden, fähig, fleißig und mit einem ziemlich guten Urteilsvermögen begabt.
Nach außen war er eine Zierde für die ganze Polizei gewesen, nettes Aussehen, gewinnende Art, durchtrainiert, guter Sportler. Man hätte ihn beinahe für Werbebroschüren nehmen können, was mehr war, als sich von manch anderem sagen ließ. Zum Beispiel von Kollberg mit seiner Arroganz und wabbeligen Fettleibigkeit. Von dem stoischen Melander, dessen Aussehen die These bestätigte, dass die schlimmsten Langweiler oft die besten Polizisten werden. Oder von dem rotnasigen und in jeder Hinsicht mittelmäßigen Rönn. Oder von Gunvald Larsson, der mit seiner kolossalen Gestalt und seinem stechenden Blick wirklich jeden zu Tode ängstigen konnte und auch noch stolz darauf war.
Oder im Übrigen auch von ihm selbst, dem ewig verschnupften Martin Beck. Erst gestern Abend hatte er sich im Spiegel betrachtet und einen großen, finsteren Kerl mit hagerem Gesicht, breiter Stirn, kräftiger Kieferpartie und missmutigen graublauen Augen gesehen. Außerdem hatte Stenström gewisse Spezialitäten gehabt, die für sie alle von großem Nutzen gewesen waren. Das alles ging Martin Beck durch den Kopf, während er die Gegenstände betrachtete, die Kollberg systematisch aus den Schubladen hervorholte und auf der Tischplatte deponierte. Doch nun ging er nüchtern abschätzend durch, was er über den Mann wusste, der den Namen Ake Stenström getragen hatte. Die Gefühle, die ihn vor kurzem fast überwältigt hätten, als Hammar in ihrem Büro in der Kungsholmsgatan stand und Binsenwahrheiten von sich gab, waren verschwunden. Der Augenblick war vorüber und würde nie wiederkehren.
Seit dem Tag, an dem Stenström seine Uniformmütze auf die Hutablage gelegt und die Uniform einem alten Kumpel aus der Polizeihochschule verkauft hatte, war Martin Beck sein Vorgesetzter gewesen. Zunächst in Kristineberg bei der damaligen Reichsmordkommission, die der Staatspolizei zugeordnet gewesen war und hauptsächlich als eine Art Einsatztruppe funktionierte, die bedrängten kommunalen Polizeikräften auf dem Land zur Seite springen sollte.
Später dann, zum Jahreswechsel 1964/65, war die Polizei als Ganzes verstaatlicht worden, und sie waren mit der Zeit nach Västberga umgezogen.
Im Laufe der Jahre war Kollberg auf verschiedene Dienststellen abkommandiert worden, und Melander hatte sich auf eigenen Wunsch versetzen lassen, aber Stenström war immer dabei gewesen. Martin Beck hatte ihn mehr als fünf Jahre gekannt, und sie hatten unzählige Fälle zusammen bearbeitet. In dieser Zeit hatte Stenström alles gelernt, was er über praktische Polizeiarbeit wusste, und das war nicht wenig. Darüber hinaus war er reifer geworden, hatte den größten Teil seiner Unsicherheit und Schüchternheit überwunden, sein Jugendzimmer bei den Eltern verlassen und war schließlich mit einer Frau zusammengezogen, von der er behauptet hatte, sein Leben mit ihr verbringen zu wollen. Vorher war sein Vater gestorben und seine Mutter nach Västmanland zurückgezogen.
Kurzum, Martin Beck sollte eigentlich das meiste über ihn wissen.
Seltsamerweise wusste er jedoch nicht sonderlich viel. Ihm lagen zwar alle wichtigen Daten vor, und er hatte eine allgemeine, vermutlich wohlbegründete Auffassung von Stenströms Charakter, seinen Vorzügen und Unzulänglichkeiten als Polizist, aber darüber hinaus wusste er kaum etwas hinzuzufügen. Ein netter Kerl. Ehrgeizig, beharrlich, ziemlich scharfsinnig, wissbegierig. Andererseits etwas schüchtern, immer noch leicht naiv, alles andere als schlagfertig, tat sich generell schwer mit Humor. Aber wer tat das nicht?
Möglich, dass er unter Minderwertigkeitskomplexen gelitten hatte.
Kollberg gegenüber, der gern mit literarischen Zitaten und komplizierten Sophismen brillierte. Gunvald Larsson gegenüber, der mal binnen fünfzehn Sekunden eine verschlossene Tür eingetreten und einen geisteskranken, mit einer Axt bewaffneten Mörder bewusstlos geschlagen hatte,
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