Endstation für neun
Larsson dachte aus Prinzip nie an die Arbeit, wenn er zu Hause war, und er konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor ein dienstliches Gespräch geführt zu haben, nachdem er zu Bett gegangen war.
Schon beim zweiten Klingelzeichen ging jemand an den Apparat.
»Hallo. Hast du das von Assarsson gehört?«
»Ja.«
»Mir ist da gerade etwas in den Sinn gekommen.«
»Was?«
»Dass wir eventuell einen Denkfehler gemacht haben. Stenström beschattete natürlich Gösta Assarsson. Und der Schütze schlug zwei Fliegen mit einer Klappe. Er tötete sowohl Assarsson als auch den Mann, der ihn beschattete.«
»Ja«, meinte Martin Beck. »Da könnte was dran sein.« Gunvald Larsson irrte sich. Trotzdem hatte er die Ermittlungen soeben auf die richtige Spur gebracht.
24
Drei Abende in Folge trottete Ulf Nordin mit Jägerhut und in seinen Lodenmantel gehüllt durch die Stadt und versuchte, Kontakt zur Stockholmer Unterwelt aufzunehmen. Er ging in Cafes, Konditoreien, Kneipen und Tanzlokalen ein und aus, die von der blonden Malin als Göranssons Stammlokale bezeichnet worden waren.
Manchmal nahm er den Wagen, und am Freitagabend saß er in seinem Auto und starrte auf den Mariatorget, ohne etwas Interessanteres entdecken zu können als zwei andere Männer, die in einem Auto saßen und ebenfalls auf den Platz starrten. Er kannte sie nicht, begriff jedoch, dass sie zur Zivilstreife des Reviers oder zum Rauschgiftdezernat gehören mussten. Diese Expeditionen brachten ihm keine neuen Informationen über den Mann ein, der auf den Namen Nils Erik Göransson gehört hatte. Tagsüber gelang es ihm allerdings, die Informationen der blonden Malin zu vervollständigen, indem er Einwohnermeldeamt, Pfarrämter, Seemannsvermittlungen und Göranssons Exfrau befragte, die in Boras wohnte und erklärte, ihren früheren Mann fast völlig vergessen zu haben. Es war beinahe zwanzig Jahre her, dass sie ihn das letzte Mal gesehen hatte.
Am Samstagmorgen legte er seine mageren Ergebnisse Martin Beck vor. Dann setzte er sich hin und schrieb einen langen, schwermütigen und sehnsuchtsvollen Brief an seine Frau in Sundsvall, während er ab und an einen schuldbewussten Blick auf Kollberg und Rönn warf, die an ihren Schreibmaschinen sehr beschäftigt schienen.
Er hatte seinen Brief noch nicht beendet, als Martin Beck ins Zimmer kam.
»Welcher Idiot hat dich in die Stadt geschickt«, sagte er. Nordin schob rasch die Kopie eines Berichts über seinen Brief. Er hatte gerade geschrieben »… und Martin Beck wird mit jedem Tag seltsamer und griesgrämiger«. Kollberg zog das Blatt aus der Walze und sagte:
»Du.«
»Wie bitte? Ich?«
»Du und kein anderer. Letzten Mittwoch, als die blonde Malin hier war.« Martin Beck sah Kollberg zweifelnd an.
»Merkwürdig«, sagte er. »Daran kann ich mich gar nicht erinnern. Jedenfalls ist es idiotisch, einen Nordschweden, der kaum den Weg zum Stureplan findet, mit einem solchen Auftrag loszuschicken.« Nordin blickte beleidigt auf, gab Martin Beck jedoch insgeheim recht.
»Rönn«, sagte Martin Beck. »Du musst herausfinden, wo sich Göransson herumtrieb, mit wem er zusammen war und was er vorhatte. Und versuch mal, diesen Björk ausfindig zu machen, bei dem er gewohnt hat.«
»Jau«, sagte Rönn.
Er war gerade dabei gewesen, eine Liste über mögliche Interpretationen von Schwerins letzten Worten zusammenzustellen. Zuoberst hatte er geschrieben: Die Ratte, au. Zuunterst stand eine brandneue Interpretation: Der innere Bau. Alle waren mehr denn je mit sich und ihren eigenen Ideen beschäftigt.
Martin Beck stand am Montagmorgen nach einer praktisch schlaflosen Nacht um halb sieben auf. Ihm war übel, und auch nach dem Kakao, den er gemeinsam mit seiner Tochter in der Küche trank, ging es ihm nicht besser. Von den anderen Familienmitgliedern war nichts zu sehen. Seine Frau hatte morgens einen ausgezeichneten Schlaf und diese Eigenschaft ihrem Sohn vererbt, der stets Probleme hatte, pünktlich in die Schule zu kommen. Ingrid dagegen stand um halb sieben auf und schloss um Viertel vor acht die Wohnungstür hinter sich. Immer. Inga pflegte zu sagen, dass man die Uhr nach ihr stellen könne. Inga hatte eine große Schwäche für Klischees. Man könnte eine Sammlung der Phrasen, die sie tagtäglich in den Mund nahm, als Kompendium für Journalisten mit Schreibblockade verkaufen. Eine Art Handbuch der Plattitüden. Das Buch müsste natürlich den Titel »Können Sie sprechen, dann können Sie schreiben« tragen.
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