Endstation für neun
davon, weil er wusste, dass ihn einige von uns auslachen würden. Als er zu Hammar sagte, dass er sich an nichts versuchen wollte, was zu alt für ihn war, hatte er sich längst für diesen Fall entschieden. Als Teresa Camaräo im Leichenschauhaus lag, war Stenström zwölf und las vermutlich nicht einmal Zeitung. Er dachte, er würde den Fall mit völlig unvoreingenommenen Augen sehen können. Er hat sich durch die gesamten Ermittlungsakten gepflügt.«
»Und was hat er gefunden?«
»Nichts. Weil da nichts zu finden ist. Hier gibt es kein einziges loses Ende.«
»Woher weißt du das?«
Martin Beck sah Kollberg ernst an und sagte:
»Ich weiß es, weil ich vor elf Jahren genau das Gleiche gemacht habe. Ich habe auch nichts gefunden. Und mir stand damals keine Äsa Torell für sexualpsychologische Experimente zur Verfügung.
Im selben Moment, als du mir das von ihr erzähltest, wusste ich, womit er sich beschäftigt hat. Aber ich habe nicht daran gedacht, dass du bei weitem nicht so viel über Teresa Camaräo weißt wie ich. Übrigens hätte ich schon darauf kommen müssen, als wir die Fotos in seiner Schublade gefunden haben.«
»Er hat es also mit einer Art Psychomethode versucht.«
»Ja. Es ist das Einzige, was noch bleibt. Eine Person aufzutreiben, die in gewisser Hinsicht Teresa ähnelt, und ihre Reaktionen zu untersuchen. Das ist ja durchaus vernünftig, vor allem wenn man eine solche Person zufällig zu Hause hat. Die Ermittlung als solche ist jedenfalls lückenlos. Andernfalls…«
»Was?«
»Ich wollte sagen, andernfalls muss man sich an einen Hellseher wenden. Aber das hat irgend so ein Schlaukopf schon vor ihm getan. Das steht auch in den Unterlagen.«
»Aber das alles sagt uns doch nichts darüber, was er in dem Bus zu suchen hatte.«
»Nein. Nicht das Geringste.«
»Ich werde trotzdem ein paar Dinge überprüfen«, erklärte Kollberg.
»Ja, tu das«, erwiderte Martin Beck.
Kollberg ermittelte Henrique Camaräo, der sich jetzt Hendrik Caam nannte, einen untersetzten Mann mittleren Alters, der seufzte und unglücklich zu seiner blonden Oberschicht-Ehefrau und einem dreizehnjährigen Sohn mit Samtjackett und Beatlesfrisur hinüberschielte und dann sagte:
»Kann man mich nicht endlich in Frieden lassen? Noch letzten Sommer war ein junger Polizeibeamter hier und…« Kollberg überprüfte auch Direktor Caams Alibi für den Abend des 13. November. Es war ausgezeichnet. Er trieb zudem den Mann auf, der achtzehn Jahre zuvor die Bilder von Teresa gemacht hatte, und fand einen alkoholkranken und zahnlosen alten Dieb in einer Zelle des Zentralgefängnisses auf der Insel Längholmen. Der Alte spitzte seinen schmalen Mund und sagte:
»Teresie. Und ob ich mich an sie erinnere. Sie hatte Brustwarzen wie Branntweinkorken. Vor ein paar Monaten war übrigens ein anderer Bulle hier und…«
Kollberg las aufmerksam jedes einzelne Wort in den Berichten, wozu er exakt eine Woche benötigte. Dienstagabend, den 18. Dezember 1967, las er die letzte Seite. Anschließend betrachtete er seine Frau, die seit einigen Stunden schlief, den Kopf mit den dunklen zerzausten Haaren tief ins Kissen gedrückt. Sie lag auf dem Bauch und hatte das rechte Knie angezogen, und die Bettdecke war ihr bis zur Taille herabgerutscht. Er hörte die Couch im Wohnzimmer knacken, als Äsa Torell aufstand, in die Küche tapste und ein Glas Wasser trank. Sie schlief immer noch schlecht.
Hier gibt es keine Lücke, dachte Kollberg. Keine losen Enden. Trotzdem werde ich morgen eine Liste über alle zusammenstellen, die vernommen wurden oder nachweislich mit Teresa Camaräo geschlafen haben. Anschließend werden wir sehen, wer von ihnen noch lebt und was diese Leute heute machen.
26
Ein Monat war vergangen, seit die siebenundsechzig Schüsse im Bus in der Norra Stationsgatan abgefeuert wurden, und der neunfache Mörder war immer noch auf freiem Fuß. Das Reichspolizeiamt, die Presse und die Leserbriefe schreibende Öffentlichkeit waren nicht die Einzigen, die ihre Ungeduld zum Ausdruck brachten. Es gab eine weitere Kategorie von Menschen, denen ganz besonders daran gelegen war, dass die Polizei den Schuldigen so schnell wie möglich ermittelte. Diese Kategorie bestand in dem, was man salopp die Unterwelt nennt.
Die meisten derjenigen, die normalerweise kriminelle Machenschaften betrieben, hatten sich im letzten Monat zur Passivität verurteilt gesehen. Solange die Polizei in Alarmbereitschaft war, hielt man sich lieber zurück. Es gab keinen
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