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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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die Hand auf seine Pistole und machte dem Soldaten klar, dass man die Angelegenheit auch anders regeln könne. Klar, dass der Kamerad sofort den Sprit rausrückte. Später beschwerte er sich über diesen Vorgang. In Deutschland hätte man sowas schließlich »bewaffneter Raubüberfall« genannt. Folgen hatte diese Beschwerde nicht. Der Major musste lediglich ein paar Tage Urlaub nehmen, damit Gras über die Sache wachsen konnte. Nach seiner Rückkehr aus Afghanistan bekam er selbstverständlich seine Einsatzmedaille verliehen und konnte nun in Deutschland seine Heldengeschichten zum Besten geben.
    Auch der Major am Stadion gehörte in diese Kategorie. Er spielte nicht nur den Helden, sondern zog dabei verdammt noch mal Untergebene mit hinein, die sich seinen Befehlen zu fügen hatten. Während ich noch überlegte, wie ich ihm den Zahn ziehen könnte, weihte er uns bereits voller Enthusiasmus in seinen Zugriffsplan ein: Sobald die drei Terroristen aus dem Gebäude gekommen und in das Auto gestiegen wären, konnten sie aufgrund der Verkehrslage nur noch nach Norden fahren. An diesem Nadelöhr sollten der Hauptmann und der Oberfeldwebel in dem gepanzerten Wolf warten und den Kombi zum Stehen bringen, indem sie ihn gezielt rammten. Der Stabsunteroffizier und ich sollten dann den Zugriff auf die Insassen des Fahrzeugs führen und diese festnehmen. Die Voraussetzungen seien günstig, schließlich sei der Wolf ja gepanzert und bei einer Sprengladung von wenigen Kilo – woher er das wissen wollte, war mir schleierhaft – wäre das aus seiner Sichtweise ja gar kein Problem. Er selbst würde diese Maßnahmen aus der Distanz dirigieren.
    Ich betrachtete meine drei Kameraden. Nie zuvor habe ich menschliche Gesichter so schnell ein solches Farbenspiel durchlaufen sehen. Sie hatten begriffen, was der Major von ihnen verlangte, und waren schwer damit beschäftigt, das Gehörte zu verarbeiten. Auch ich dachte nach und überlegte mir, wie der gepanzerte Wolf eine Explosion wohl wegstecken würde. Aus Erfahrung wusste ich: schlecht bis gar nicht. Ob nun gepanzert oder nicht, für so etwas wurde dieses Fahrzeug garantiert nicht gebaut. Selbst wenn die Verdächtigen ihre Bombe gar nicht zünden würden oder statt mit Sprengstoff »nur« mit ein paar Maschinengewehren ausgestattet wären – mit den gerade erst ins Land gekommenen Kameraden, unserer schlechten Ausrüstung und einem übergeschnappten Major als Befehlshaber konnte diese Aktion nur im Desaster enden. Ich war in der Vergangenheit schon bei solchen Zugriffen dabei gewesen. Deshalb wusste ich, dass für solche Operationen mindestens vierzig bis sechzig Soldaten nötig sind. Dazu kommen die entsprechende schwere Bewaffnung und Ausrüstung, gepanzerte Fahrzeuge, Sprengstoff-Spezialisten, Hunde und, und, und. Vor allem braucht man viel Vorbereitungszeit, und man musste die Lage vor Ort mitbedenken. Hier am Stadion war die Straße ziemlich belebt. Es wimmelte von Zivilisten in ihren Autos, Fußgängern und Müttern mit kleinen Kindern. Die Gefährdung des Umfelds war überhaupt nicht zu verantworten. Selbst die kampferprobten amerikanischen OEF-Soldaten mieden den Bereich um das Fahrzeug der mutmaßlichen Terroristen.
    Ich kam zu dem Schluss, dass ich dem Major wohl eine kleine Einführung in Sachen Realitätswahrnehmung, Selbstüberschätzung und Verantwortungsgefühl geben musste. Er aber war ein Mensch, der nach der Maxime lebt: »Verwirren Sie mich nicht mit Fakten, meine Meinung steht fest.« Ich meldete mich zu Wort. »Herr Major, dem Funkspruch zufolge erfolgte ganz klare Wiesung, Kabul Stadion zu meiden. Es wurden dort keine Adhoc-Zugriffsaktionen befohlen.« »Die Situation ist günstig«, widersprach er. »So eine Chance, Terroristen und Sprengstoff aus dem Verkehr zu ziehen, kann man sich doch nicht entgehen lassen!«
    Dem Hauptmann, dem Oberfeldwebel und dem Stabsunteroffizier entglitten nun vollends die Gesichtszüge, genauso wie mir. Es war nicht zu fassen! Der Typ war einfach unverbesserlich: eine Zugriffsaktion auf ein Auto, vermutlich voller Sprengstoff, in einem nicht aufgeklärten Gebiet ohne eigene Sicherungsteile – das widersprach nicht nur jedem taktischen Vorgehen, sondern auch dem gesunden Menschenverstand! So eine Operation war definitiv etwas für das KSK, die KCT oder ähnliche Spezialeinheiten. Und nichts für drei Humint-Kräfte und einen Fallschirmjäger, die sich gerade einmal fünf Stunden kannten! Auch die Bewaffnung unseres Trupps war mehr als

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