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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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Gange sein, folgerte ich. Dann stiegen wir aus.
    Der Major winkte uns bereits ungeduldig zu sich. Ich erkannte ihn als Angehörigen der Aufklärungskompanie, der als Reservist nach Kabul gekommen war. Sicherlich war er in seinem Fachbereich unschlagbar – das Problem war nur, dass diese Situation hier eindeutig nicht zu seinem Fachgebiet gehörte. Trotzdem war sein Auftreten von einer gewaltigen Arroganz geprägt. Er war ein braungebrannter Typ mit Gardemaß von etwa eins neunzig und trug seine Haare relativ lang. Es fehlte nur noch die Sonnenbrille. Dass er in der Aufklärungskompanie gelandet war, wunderte mich nicht. Dort landeten alle, die keine feste Bestimmung hatten, genau wie ich. Dazu gehörten reine Aufklärungskräfte der elektronischen Kampfführung, also unsere Abhörspezialisten für Funk und Mobiltelefone, über die Humints bis hin zu dem Fernspähtrupp, der wie ich an die niederländischen Kommandos abgestellt war. Und natürlich auch mehr oder weniger wertvolle Offiziere wie dieser Spezialist hier.
    Tatkräftig begann der Major, uns in die Situation einzuweisen. Gemäß amerikanischer Gesprächsaufklärung war auf der Route Blue, gleich am Anfang dieser Hauptstraße ungefähr 300 Meter links vor uns, ein Motel. Vor diesem Gebäude sei ein weißer Kombi geparkt, der – so betonte er mit wichtigem Gesichtsausdruck – mit Sprengstoff beladen sei. Weniger sein theatralischer Gesichtsausdruck als vielmehr der Inhalt seiner Aussage ließ mich schlucken. In dem Motel, so fuhr der Major fort, träfen sich gerade mehrere Personen, nämlich mutmaßliche Terroristen, zu einem konspirativen Gespräch. Ich sah verstohlen in die Gesichter meiner drei Begleiter, ob sich darin ähnliche Fragen abzeichneten, wie sie mir gerade durch den Kopf gingen: Warum erzählst du mir das alles? Was habe ich damit zu tun? Gute Frage!
    Ich spähte an den Fahrzeugen vorbei nach Norden und konnte am Anfang der Route Blue ein etwas größeres Gebäude erkennen, bei dem es sich wohl um das Motel handelte. Jedenfalls hatten eine Menge amerikanischer Soldaten das Haus in gehörigem Abstand umstellt. Keiner von ihnen bewegte sich auf das Motel zu, zumindest niemand in Uniform. Afghanische Zivilisten flanierten völlig unaufgeregt herum. Wahrscheinlich hatten sie keine Ahnung von dem hohen Gefahrenpotential. Der Bereich war auch nicht abgesperrt worden. Wenn hier massenweise Amerikaner zugange waren, musste an der Geschichte des Majors etwas Wahres dran sein. Der war voller Tatendrang, aber ich hörte seinen weiteren Ausführungen nur mit halbem Ohr zu und beobachtete weiter die Lage am Objekt. Doch dann dachte ich, ich höre nicht recht. Der gute Mann lief zur Hochform auf: Offensichtlich glaubte er, ausgerechnet er müsse nun etwas unternehmen, um die Lage zu entschärfen. Nun war ich ganz Ohr.
    Er hatte auch schon einen Plan im Kopf, wie er uns wissen ließ: »Wenn die Amerikaner sich so passiv verhalten, dann ziehen wir jetzt diese Terroristen aus dem Verkehr.« Wir? Ich schluckte und sah mich um. Wen bitte schön meinte er denn? Mein Blick blieb an meinen drei fassungslosen Begleitern hängen. Doch der Major war schon drauf und dran, unseren Viermanntrupp für den Zugriff einzuteilen. Ich dachte, das gibt’s doch nicht! Der Mann musste komplett übergeschnappt sein!
    Unwillkürlich fühlte ich mich an einen anderen Major erinnert, der in einem schwachen Moment einen ganz ähnlichen Ansatz der Befehlsausgabe und Menschenführung bewiesen hatte. Zu Beginn meines Einsatzes war der Material-Nachschub noch direkt aus Deutschland bezogen worden. Verpflegung, Wasser, Treibstoff und Bekleidung – also alles, was wir brauchten – wurden in riesigen Flugzeugen vom Typ Antonov AN-124, die die Bundeswehr in der Ukraine gemietet hatte, nach Kabul transportiert. Weil das Wetter schon einige Male die Nachlieferung aus der Luft verhagelt hatte, wurde irgendwann der Sprit knapp. Der deutsche General erteilte daraufhin den Befehl, Diesel nur noch an die Infanteriekräfte auszugeben, damit diese wenigstens ihre Patrouillen in der Stadt durchführen konnten. Besagter deutscher Major wollte jedenfalls auch in die Stadt und fuhr mit seinem Kraftfahrer zur Spritausgabe, die von einem Stabsunteroffizier geführt wurde. Der verweigerte den geforderten Sprit, wie es ihm vom General per Dienstanweisung befohlen worden war. Der arme Soldat wies eisern immer wieder auf den Befehl hin, doch der Major pochte immer lautstärker auf seinen Dienstgrad, legte

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