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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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lächerlich. Der Hauptmann und der Oberfeldwebel hatten jeweils eine Pistole P8, der Stabsunteroffizier ein Sturmgewehr G36. Ich hatte diese Waffentypen beide am Mann, aber das war’s dann auch schon. Die Munition meiner drei Begleiter beschränkte sich auf je dreißig Schuss für die Pistole und ein Magazin mit dreißig Schuss für das Sturmgewehr. Nicht viel also. Wäre es zu einer Schießerei gekommen, hätten wir uns vielleicht dreißig Sekunden über Wasser halten können, dann hätten wir verschossen gehabt – wenn wir nicht vorher bei dem Rammvorgang in die Luft geflogen wären, was sehr viel wahrscheinlicher war. Ich teilte diese Gedanken dem Major mit und wies noch einmal ausdrücklich darauf hin, welche Truppen für so einen Zugriff geeignet wären. »Ist doch alles kein Problem«, meinte er. »Die Kommandos« – und damit konnte er nur die Niederländer meinen, die die einzigen breit aufgestellten Spezialkräfte unserer KMNB waren – »sind doch bereits alle hier im Raum.«
    Das war mir neu und kam mir – gelinde gesagt – spanisch vor. Mit einer Mischung aus Zweifel und Hoffnung überprüfte ich mit meinem Funkgerät, mit dem ich immer zu meinen niederländischen Kameraden Verbindung hatte, ob sie sich meldeten. Pustekuchen. Wahrscheinlich kauften sie gerade den PX leer oder lagen wohlverdient in Bagram in der Sonne. Ich wies den Major auf seinen Irrtum hin, der aber zeigte sich unbeeindruckt. »Schluss jetzt mit den Diskussionen. Ich will Taten sehen. Dies ist im Übrigen keine Bitte, sondern ein Befehl!« Wohl oder übel bewegten die drei Humints und ich uns mit den Fahrzeugen von hinten in eine dem Motel gegenüberliegende Seitenstraße. Dann betraten wir zusammen mit dem Major eine zweigeschossige Ruine, um die Lage von dort aus zu sondieren. Während ich äußerlich Folge leistete, hatte ich noch immer vor, den Major von diesem wahnwitzigen Selbstmordplan abzubringen. Ein Blick auf das Motel und den belebten Vorplatz würde ihn hoffentlich zur Vernunft bringen.
    Auf der Straße vor dem Gebäude war die Hölle los, wie an jedem Tag. Hunderte von Menschen strömten zu dem angrenzenden Markt und bepackt mit Obst, Gemüse und Haushaltsgegenständen wieder weg. Inmitten dieses Menschengewühls wollte der Major seine Aktion durchziehen? Ich wagte einen erneuten Vorstoß, aber der Major beharrte weiterhin auf dem Zugriff. Da platzte mir endgültig der Kragen. Meine drei Begleiter hatten bis jetzt kein einzigen Ton von sich gegeben. Nun wendete ich mich direkt an sie. »Dann hört mal zu, ihr drei. Wenn wir das jetzt so durchziehen, wie der Herr Major es befiehlt, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder unser Fahrzeug fliegt bei dem Rammvorgang in die Luft, was auch ein gepanzerter Wolf, der danebensteht, nicht aushält. Möglichkeit zwei: Es gibt keine Explosion und die Terroristen springen nach unserem Rammversuch aus dem Fahrzeug und beginnen auf uns zu feuern. In diesem Moment«, wendete ich mich an den Stabsunteroffizier, »kommen wir beide ins Spiel.« Der sah mich unbehaglich an, was sich noch steigerte, als ich fortfuhr: »Wir beide sprinten dann über die Straße, um die Terroristen möglichst schnell kampfunfähig zu machen.« Er schaute mich bedröppelt an und fragte: »Was soll ich machen?«
    »Keine Ahnung, was ihr macht«, gab ich zurück. »Ich jedenfalls mache nichts, nada, niente. Ich werde mich irgendwo gedeckt hinlegen und wenn der Spuk vorbei ist, Erste Hilfe leisten.« Sie schauten mich irritiert an. Die drei waren ja kaum vierundzwanzig Stunden im Land – und dann so etwas. Meine Schützlinge taten mir echt leid. Der Major war nicht weniger irritiert. Er wurde nun richtig wütend und brüllte mich an: »Was fällt Ihnen ein? Wer sind Sie überhaupt?« Ich nannte ihm meinen Namen, Einheit und Rang und stellte in ruhigem Ton, aber unmissverständlich klar, dass ich seinen Befehl nicht ausführen werde.
    Als er mich immer weiter beschimpfte und zum Gehorsam aufforderte, traf ich einen gewichtigen Entschluss. Ich holte tief Luft und ließ ihn wissen: »Hiermit erkläre ich mich nach Paragraf 6 der WO« – das ist die Vorgesetztenverordnung der Bundeswehr – »zum Vorgesetzten und befehle meinen Teilen, unmittelbar jetzt mit mir zurück ins Camp zu verlegen.« Da hatte ich meinen Fehler Nummer zwei begangen. Laut Paragraf 6 der WO darf man sich nur gegenüber gleichrangigen Soldaten zum Vorgesetzten erklären, für höherrangige gilt dieser Paragraf nicht. Der Major wurde

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