Endstation Kabul
mussten. Der Rest des Kontingents guckte dumm aus der Wäsche, weil jetzt noch mehr Soldaten in engen Containern ihre Körperpflege betreiben mussten. Auch wurden Räume oder Zelte geräumt und noch extra klimatisiert, um den VIPs einen angenehmen Schlafplatz bereitzuhalten. Da wurde ein Luxus nur für einen Tag, nur für eine Person betrieben, der oftmals jeden vernünftigen Rahmen sprengte.
Im Camp sprach man ganz offen von einer »Monkey-Show«, die da veranstaltet wurde. Dazu gehörte auch die Außendarstellung gegenüber der Presse, die zum Großteil aus »Show-Elementen« bestand. Die Zugführer stöhnten schon auf, wenn sie hörten, dass Politiker, Presse oder hohe Militärs im Anmarsch seien, weil sie den ganzen Zirkus vorbereiten und mit veranstalten mussten. Es hieß dann schon mal: Ihr macht eine Befehlsausgabe für eine Patrouille, wenn wir – natürlich rein zufällig – durch das Camp gehen. Oft standen die Kameraden sehr lange untätig herum, bis diese Delegation endlich vorbeikam. Die Befehlsausgaben bei diesen Anlässen waren natürlich grundsätzlich »voll durchgestylt«, ähnelten einer Choreografie. Da wurden Flipcharts aufgestellt mit den allerneusten Erkenntnissen und einer Menge Fotos bis hin zu Satellitenaufnahmen. Die Soldaten standen herausgeputzt in Reihe vor dem Gruppen- oder Zugführer und lauschten andächtig (wenn sie nicht gerade damit kämpften, ihr Grinsen zu unterdrücken). Die normale Befehlsausgabe sah natürlich ganz anders aus: Die Soldaten versammelten sich vor einer Karte, die zum Beispiel auf der Motorhaube eines Fahrzeugs ausgebreitet wurde, und erhielten ihre Einweisungen und Befehle für Route und Notverhalten. Wenig kameratauglich! Natürlich schmissen sich einige bei diesen Veranstaltungen richtig in Pose und nutzten jede Gelegenheit, in die Kameras oder Fotoapparate zu lächeln.
An ein Gespräch im Zuge eines solchen Besuches kann ich mich noch sehr gut erinnern. Dies war der Besuch der verteidigungspolitischen Sprecherin der Grünen, Angelika Beer. In einer der Pausen saß sie auf einer Mauer vor dem Camp, und ich sicherte diesen Besuch mit ab. In einem Vier-Augen-Gespräch fragte sie mich nach der Stimmung, ohne Kameras oder sonstige Ablenkung. Ich erzählte ihr daraufhin, dass sie Zeugin einer Show geworden sei, speziell für diesen Tag entworfen. Was sich hier vor ihren Augen abspiele, spiegele nie und nimmer die realen tagtäglichen Belastungen der deutschen Soldaten wider. Frau Beer bestätigte mir, dass viele in der Regierung wüssten oder es sich zumindest vorstellen können, wie groß die Belastung vor Ort tatsächlich sei. Es freute mich zwar, so ehrliche Worte aus dem Mund eines Politikers zu vernehmen, aber es brachte uns nicht einen Zentimeter weiter nach vorn, wenn dieses Wissen nicht publik wurde.
Die Berichterstattung in Deutschland war natürlich darauf zugeschnitten, dass im Land und im Camp alles ruhig ist und keine große Gefährdung für die Soldatinnen und Soldaten in diesem Einsatz besteht. Die Realität sah und sieht leider anders aus. Was mich dabei am meisten erschütterte, war, dass nicht wenige schon sehr früh wussten, dass etwas im Argen liegt, dass sie es aber niemals öffentlich ansprachen. Kein sehr schönes Gefühl, wenn man dort seinen Kopf hinhält.
Aber es gab eine kleine Verbesserung für das deutsche Kontingent. Endlich, nach etlichen Monaten, war eine Satellitentelefonanlage im Camp installiert worden. Ich besorgte mir gleich einen Vertrag und ein Telefon, das ich mir mit Wolli teilte. So konnten wir im Bereich des gesamten Camps in Eins-a-Qualität nach Deutschland telefonieren. Vorher hatte man bloß von zwei Anschlüssen im Stabsgebäude aus zu Hause anrufen können. Lange Wartezeiten, bei einem Kontingent von an die 2500 Mann, natürlich inklusive. Von einigen wurden die neuen Telefonverbindungen so exzessiv genutzt, dass viele Kameraden am Monatsende eine mordsmäßige Rechnung zu bezahlen hatten. Ein nicht geringer Teil des Gefahrenzuschlags ging bei einigen dafür drauf. Positiv war auch, dass der Soldatensender »Radio Andernach« seine Arbeit im Camp aufnahm und am Abend mehrere Stunden Live-Programm aus dem Camp sendete.
Das absolute Highlight, nicht nur für mich, sondern auch für viele andere Soldatinnen und Soldaten unabhängig von der Truppengattung oder Dienstgradgruppe, war, dass an jedem Abend um 21.55 Uhr das Lied »Lili Marleen« ertönte. Man kann gar nicht beschreiben, was dieses Ritual und dieses
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