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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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geblieben. Nach ein paar Minuten hatte ich mich wieder halbwegs unter Kontrolle und straffte mich, zumindest innerlich. Eines aber stand mir nach dieser Situation glasklar vor Augen: Ich kann viel ertragen, aber auf Kinder schießen könnte ich niemals! Als ich zu unseren Fahrzeugen kam, saß Wolli schon abfahrbereit im Fond und winkte mir zu. Alex schaute mich prüfend an und wollte wissen, ob irgendetwas los sei. Ich schüttelte den Kopf. »Alles okay, lass uns hier abhauen.« Er kannte mich gut und wusste sofort, dass irgendwas nicht stimmte, drang aber in diesem Moment nicht weiter in mich, wofür ich ihm sehr dankbar war. Die Fahrt zurück war noch komplett von meinem Erlebnis mit dem Mädchen überschattet. Trotzdem versuchte ich, mich auf die Geschehnisse draußen auf der Straße zu konzentrieren. Auf der Jalalabadroad kurz vor dem Camp sah ich einen Jungen neben einem Haus stehen, der plötzlich seine Hand hob. Ich dachte, er wolle uns zuwinken, doch dann erkannte ich eine Waffe in seiner Hand. Warum passiert alles komprimiert an einem Tag, ja sogar binnen einer Stunde? Und viel wichtiger: Warum gerade mir?
    Schon hörte ich über Funk von Alex »Waffe!«. Ich kam mir vor, als wäre ich in einem Alptraum gefangen. Beide Fahrzeuge stoppten. Alex sprang heraus und zielte auf den Jungen, ich zog an Alex vorbei, Richtung Junge, und die Schreierei begann. Auf einmal merkte der Lausebengel, in was für ein Schlamassel er hineingeraten war. Alex zog wieder an mir vorbei und wir waren kurz vor dem Jungen. Ein älterer Mann neben dem Kleinen sagte etwas zu ihm, daraufhin schmiss der Junge die Waffe weg und gab Fersengeld. Ich kümmerte mich nicht weiter um das Teil, ich wollte nur den Jungen kriegen und ihm die Ohren langziehen. Ich setzte ihm nach, schnappte ihn mir und brachte ihn zurück zu Alex. Der hob die Waffe auf und warf sie mir zu, mit den Worten: »Plastik.« Ich schnappte den Jungen am Kragen, schüttelte ihn wie einen jungen Welpen und zerdrückte die Waffe vor seinen Augen. Alex entwand ihn mir dann und sagte »Achim Wohlgethan – Endstation Kabul. Als deutscher Soldat in Afghanistan – ein Insiderbericht, buro!« (»Hau ab!«). Das Ganze konnte keine halbe Minute gedauert haben, denn als ich mit noch immer klopfendem Herzen wieder aufsaß, guckte mich ein entspannter und ahnungsloser Wolli an. Wahrscheinlich war es besser, dass er von der brenzligen Situation gar nichts mitbekommen hatte.
    Als wir in der OPZ unseren Bericht abgaben, hörte ich vom Schichtleiter, dass heute bereits etliche Patrouillen von Provokationen dieser Art berichtet hatten. Das kann ja noch heiter werden!, dachte ich. Aber dann freute ich mich auf eine warme Dusche und ein gekühltes mexikanisches Bier der Marke »Desperados« in meinem Feldbett. Genau diese Reihenfolge brauchte ich jetzt. Bis heute kann ich die Bilder dieses Nachmittags nicht aus meinem Kopf bekommen. Dieses kleine, verängstigte Mädchen vor mir – und ich ausgerüstet mit Waffen und kugelsicherer Weste und bewerfe sie mit Steinen. Bestimmte Gerüche und Szenarien. Schlüsselreize – und ich sehe alles wieder vor mir und könnte kotzen!
    Aufgrund unserer guten Aufklärungsergebnisse waren Alex und ich längst nicht mehr in den normalen Dienstbetrieb der OPZ eingebunden. Wir erhielten nur noch Sonderaufträge, was mir ganz lieb war. So gut wie jeden Tag verbrachte ich nun mit Alex in Kabul und Umgebung zur Aufklärung. Sauer stieß mir dabei unsere »Mine Map« auf, in die viele minenverseuchte Gebiete eingezeichnet waren. Diese Karte war anhand der Aussagen von Einheimischen erstellt worden, die zum Beispiel gesehen hatten, dass irgendwann an Punkt A von der Partei Z Minen verlegt worden waren. Aber auch eigene Aufklärungsergebnisse der ISAF-Truppen flossen dort mit ein.
    Das Problem war nun, dass diese Mine Map nicht wirklich vollständig war. Zudem kamen die vielleicht fünfzehn Spezialisten nicht mit der Entschärfung hinterher. Schon jetzt waren zwei-, dreimal am Tag die kontrolliert herbeigeführten, aber ohrenbetäubenden Detonationen vom etwa zwei Kilometer entfernten Sprengplatz zu hören. Das ganze Camp wackelte darauf wie bei einem Erdbeben. Da es keine festen Sprengzeiten gab und am Anfang jedes Mal eine kleine Panik ausbrach, wurden die Explosionen schließlich per Hupton angekündigt. Diese EOD-Kräfte (»Explosive Ordnance Disposal«) – spezielle und sehr gut geschulte Soldaten zur Erkennung sowie Entschärfung von Minen und Sprengmitteln

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