Endstation Kabul
Lagerbereichs zuständig waren oder die »Quick Reaction Force« bildeten. Weil die Bundeswehr aber zu wenige Soldaten mit Kampf- oder infanteristischer Ausbildung nach Kabul geschickt hatte, mussten sie Tag und Nacht patrouillieren, Wache schieben oder mit der QRF ausrücken. Vor Kurzem wurde die grundsätzliche Schieflage bei solchen Auslandseinsätzen in einer großen deutschen Tageszeitung anschaulich wiedergegeben. Nach einer Auflistung aller Bundeswehreinheiten im Auslandseinsatz per 1. August 2007 stehen 1711 Soldaten im Mannschaftsdienstgrad sage und schreibe 5742 Offiziere und Unteroffiziere gegenüber. Auf fast dreieinhalb Häuptlinge kommt also ein Indianer! Ein Wirtschaftsunternehmen mit so einem Zahlenverhältnis zwischen Top- und Mittelmanagement gegenüber den Sachbearbeitern hätte schon längst Bankrott gemacht.
Die Fallschirmjäger, die nun auch am »German Day« auf Streife gehen mussten, murrten zwar. Aber natürlich ließ ihr Stolz es nicht zu, sich darüber zu beschweren. Die Begründung für den Patrouillendienst der Fallschirmjäger klang wie Hohn in meinen Ohren: Sie würden den »Tanz in den Mai« ja von zu Hause kennen und würden also nichts verpassen. Total bescheuert. Zum Glück galt dieser Dienstplan nicht für die OPZ der KMNB, zumindest ich hatte also Glück.
Die sogenannte »2-Dosen-Bier-Regelung«, die den maximal erlaubten Bierkonsum pro Nase und Tag regelt, wurde für die Feierlichkeiten nicht außer Kraft gesetzt. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie so viele Menschen gesehen, die nach dem Genuss von zwei Bieren so betrunken waren wie an diesem Abend. Und zwar durch alle Verwendungsbereiche und Dienstgradgruppen hindurch. Niemand erhob einen Einwand gegen das Treiben, das sich vor unserer Betreuungseinrichtung, der »Drop Zone«, abspielte. Alle machten mit – bis auf die Fallschirmjäger, die ja zu unserer Sicherheit patrouillierten. Wegen meiner Zugehörigkeit zu dieser Truppengattung wusste ich, wie ausgelassen die Jungs zu feiern pflegten. Vermutlich war genau das der Grund, sie anderweitig zu beschäftigen. Wären diese Männer dabei gewesen, wäre das Camp am nächsten Tag wahrscheinlich unter einer anderen Adresse aufgewacht.
Ich trank selbstverständlich nur meine mir gestattete Ration von zwei Dosen Bier und feierte ausgelassen mit. Erst nach der Feier merkte ich, wie gut mir diese Abwechslung getan hatte. Allerdings nicht gleich am Morgen danach, an dem ich zerschlagen und vollkommen fertig zu mir kam. Das lag wohl auch an der Haltung, in der ich die Nacht verbracht hatte: Ich wurde vor meinem Zelt auf ein paar dort liegenden Sandsäcken wach, mein Gewehr auf dem Rücken und meine Pistole in meinem Beinholster. Ich fühlte mich wie nach einem Artillerieschlag, den ich voll abbekommen hatte. Allerdings war ich augenscheinlich nicht der Einzige, dem es so erging. Auf meinem Weg zum Waschcontainer bot sich mir ein Bild wie nach einem Mörserangriff. Überall, wirklich überall, lagen Soldaten auf Bierzeltbänken, Sandsackstellungen und sogar auf den Straßen und Wegen. Sodom und Gomorrha! Mich amüsierte der Anblick sehr, dann aber machte sich Ernüchterung breit: Was wäre gewesen, wenn es in der Nacht zu einem Vorfall, welcher Art auch immer, gekommen wäre? In meinem Zustand hätte mich wahrscheinlich ein Dreijähriger, bewaffnet mit einem trockenen Handtuch, erschlagen! Mir wurde heiß und kalt bei dem Gedanken. Und ich schwor mir auf der Stelle, mich nie wieder im Einsatz in so einen Zustand zu katapultieren.
Für mich sollte es die erste und letzte ausschweifende Party gewesen sein. In meiner restlichen Zeit im Camp sah ich nicht an einem Abend, dass die »2-Dosen-Bier-Regelung« eingehalten wurde. Viele Soldatinnen und Soldaten tranken »nach Dienstschluss« wesentlich mehr. Besonders die, die nicht tagtäglich das Camp verließen, um auf Patrouille zu gehen oder zu fahren, sondern fast ihre gesamte Zeit im Camp verbrachten. Und das war schließlich bei der Mehrheit der Fall. Mir waren mehrere Soldatinnen und Soldaten persönlich bekannt, die nur zweimal außerhalb des Camps waren; nämlich bei ihrer Ankunft und bei ihrem Abflug. Die gesamte Einsatzdauer, also für ein halbes Jahr, hockten diese Soldaten auf einer Fläche von knapp eineinhalb Quadratkilometern im Camp – Lagerkoller vorprogrammiert. Teils aus Langeweile, teils aus Frust wurde deswegen abends getrunken. Einige erzählten mir auch, dass sie den Alkohol brauchten, um abends einschlafen zu
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