Endstation Kabul
militärischen Fahrzeugwracks vor unendlich riesigen braunen Geröllfeldern beherrschten das Bild. Ein Anblick, der einen auf Dauer depressiv machen kann – besonders, wenn man aus Deutschland das satte Grün der Wiesen und Bäume gewohnt ist. Farbliche und landschaftliche Eintönigkeit zog draußen am Fenster vorbei. Als wir nach zwei Stunden den Rand der AOR erreichten, waren wir uns erst nicht einig, ob wir weiterfahren oder doch lieber umkehren sollten. Als wir aber in einiger Entfernung durch das Doppelfernrohr ein Gebäude erkennen konnten, mussten wir nicht mehr lange überlegen.
Das Gebäude war sehr groß, daneben war ein Fahrzeug mit einem Raketenwerfer auf der Ladefläche zu erkennen. Noch interessanter war das dahinter angekoppelte große Artilleriegeschütz. Wir warfen unsere Bedenken über Bord und überquerten die Grenze der AOR. Zumindest bis zum maximal einen Kilometer entfernten Gebäude wollten wir fahren. Wir bogen auf einen kleinen Weg ab, der Richtung Gebäude führte, und nach einer Linkskurve hatten wir freie Sicht auf das Haus. Kaum hatten wir darin Bewegungen erkannt, kamen auch schon drei Personen, bewaffnet mit Kalaschnikow-Sturmgewehren, heraus und winkten freundlich in unsere Richtung. Alex und ich stiegen aus und gingen auf die Männer zu. Ich bot den drei Afghanen sofort Zigaretten an, das ist der Eisbrecher Nummer eins! Auch eine gute Vorgehensweise ist, erst einmal in Frage zu stellen, ob die vorgefundenen Geräte überhaupt funktionieren. So packte man die Afghanen bei ihrer Ehre.
Natürlich interessierte uns am meisten, was es mit dem Geschütz und dem Raketenwerfer auf sich hat. Sie erklärten und zeigten uns alles ganz genau. Das Geschütz war in einem hervorragenden Zustand, der Werfer war komplett aufmunitioniert. Ich konnte Geschütz und Werfer nicht einordnen, Alex sagte nur »Russisch«, als er meinen fragenden Blick sah. Ich versuchte weiter zu »locken« und behauptete, dass sie ja eh keine Munition für das Geschütz und den Werfer hätten. Was wir daraufhin zu sehen bekamen, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Hinter dem Gebäude waren jede Menge Kisten unter großen Planen versteckt. Darunter lagen nagelneue Kisten mit Artilleriegranaten. Am meisten verwunderte mich dabei, dass ich die Beschriftung lesen konnte. Sie war in Deutsch! Auf unsere Frage, wo sie diese herbekommen hätten, drucksten die drei wild aussehenden Gestalten etwas herum. Weil dieser Fund wirklich ungeheuerlich war, fragten wir sie, ob wir eine Granate mitnehmen und ihnen im Gegenzug etwas anderes geben können. Die drei Afghanen waren zunächst ganz aufgeschlossen für diese Idee, wollten sich aber nicht mit harmlosem Equipment zufriedengeben. Weil uns das zu heikel war, platzte der Deal. Ich könnte mich heute noch grün und blau ärgern, dass wir ihnen damals nicht eine unserer Handgranaten überlassen haben. Die Führung hätte uns für diesen Coup vermutlich belobigt und gleichzeitig in den Hintern getreten.
Also machten wir erst mal ein paar Fotos von den Artilleriegranaten in den deutsch beschrifteten Kisten. Nach einigem Hin und Her sowie einer Menge überreichter Zigaretten rückten sie dann doch mit der Sprache heraus. Die Granaten wären aus dem Iran geliefert worden. Wir waren entsetzt. Iran!? Nagelneue deutsche Artilleriegranaten? Herrschte nicht ein Embargo gegen den Iran, ratifiziert durch die Vereinten Nationen? Auf welchen verschlungenen Wegen und mit wessen Hilfe waren diese Granaten erst in den Iran und dann hierher gelangt? Nun waren wir in der gleichen Situation wie die amerikanischen Streitkräfte im Ausland, nämlich im ungünstigsten Fall von Geschützen und Munition aus dem Heimatland beschossen zu werden. Mir war gar nicht wohl bei diesem Gedanken. Nicht nur, weil deutsche Waffen effizienter sind als alte russische, sondern auch, weil ich an die üblen Geschäfte und kriminellen Schiebereien dahinter dachte. Nach circa einer Stunde verließen wir die afghanische Stellung.
Alex und ich fuhren zusammen zurück, die beiden Fahrer nahmen den anderen Wolf. Fast den gesamten Rückweg schwiegen wir. Ich war fassungslos, Alex ging es dem Gesichtsausdruck nach ähnlich. Deutsches Waffenmaterial aus dem Iran in Afghanistan, das war unglaublich! Wir überlegten uns, wie wir diesen Fund am besten in der OPZ präsentieren sollten, auch wegen unseres Ausflugs jenseits der AOR. Der Fund war aber zu brisant, um ihn zu verschweigen. Nach kurzer
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