Endstation Kabul
Gefechtsstand zu betreuen, ein Österreicher und ein Türke. Ich wurde dem türkischen Offizier zugeordnet. Die Türken waren damals »Leading Nation« und für die Koordinierung und Führung der gesamten ISAF-Truppen verantwortlich. Meine erste Begegnung mit diesem Offizier stand unter keinem guten Stern. Im Brustton der Überzeugung meinte er: Die beste Armee der Welt sei die afghanische mit deutschen Waffen und unter türkischer Führung. Ich konnte mir ein Lachen gerade noch verkneifen. Warum mussten gerade unsere südländischen Kollegen immer so trommeln? Reichte es nicht, dass man gut war? Musste man das bei jeder passenden Gelegenheit noch betonen? Zu meiner Schande muss ich allerdings gestehen, dass einige deutsche Offiziere diesem eitlen Gehabe in nichts nachstanden. So entwickelte sich oftmals ein Kompetenzgerangel zwischen den verschiedenen Nationen, das lediglich der Befriedigung von Eitelkeiten diente. Alex und mich langweilte dies nur. Wann immer sich Offiziere verschiedenster Nationen mit ihren Heldengeschichten zu übertrumpfen versuchten, bin ich auf einen Rundgang im Hotel verschwunden, um mir nicht dieses Gelaber anhören zu müssen.
Allerdings hatte mich der NDS bereits in Visier genommen. Ständig schlich einer aus ihrer Truppe um mich herum und versuchte, mir Informationen aus der Nase zu ziehen. Das wurde dadurch erleichtert, dass die afghanischen Geheimdienstler fast alle erstaunlich gut Deutsch sprachen. Sie waren zum Großteil von den Diensten der DDR ausgebildet worden. Die Scheingeschichten, die sie mir aufzutischen versuchten, waren nicht nur töricht, sondern teilweise sagenhaft dumm. Erst gaben sie sich als Journalisten aus, was ich ihnen ja noch geglaubt hätte. Als sie mir dann erzählten, sie seien Geschäftsleute, zuckte es bei mir nur unmerklich im Gesicht. Als aber dann die Story von Urlaubern herhalten musste, konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Wer um alles in der Welt würde ausgerechnet zu dieser spannungsreichen Zeit an diesem Ort Urlaub machen? Mir fiel niemand ein. Als sie mit allen Tricks bei mir abgeblitzt waren, versuchten sie dann noch, eine Frau auf mich anzusetzen. Als auch das schiefging, ließen sie mich endlich einigermaßen in Ruhe meine Arbeit tun.
Alex funkte mich an, dass Besuch für mich da war. Hauptfeldwebel Landing und Oberfeldwebel Keller von den Fallschirmjägern standen vor mir. Solche Besuche waren oft Tageshighlights für mich, weil ich spürte: Ich war zwar auf einer Spezialmission zwölf Kilometer vom Lager entfernt, aber bei den Kameraden nicht abgemeldet. Ein schönes Gefühl. Wir tranken Kaffee und tauschten den neuesten Tratsch aus, unterhielten uns aber auch über die allgemeine Sicherheitslage. Informanten berichteten immer wieder von beunruhigenden Entwicklungen: Sollte die Loya Jirga nicht so verlaufen, wie gewisse Gruppierungen sich dies vorstellten, könnten durchaus wieder offene Kampfhandlungen aufflammen. Kein schöner Gedanke, wenn man selbst mitten drinsteckt und um die nicht vorhandenen Evakuierungsmöglichkeiten weiß. Einige Fallschirmjäger hätten insgeheim bereits ihre persönliche Evakuierung in kleinen Gruppen abgesprochen, erzählten die beiden. Das sprach nicht gerade für ein großes Vertrauen in die militärische Führung und ließ den Titel eines russischen Buches über den russisch-afghanischen Krieg namens »Bärenfalle« wie ein düsteres Vorzeichen in meinen Ohren klingen.
Als hätten wir nicht schon genug mit dem friedlichen Ablauf der Loya Jirga zu tun, begann zu allem Überfluss das ohnehin alles andere als gut zu bezeichnende Verhältnis zwischen Indien und Pakistan sich massiv weiter zu verschlechtern. Diese beiden Atommächte standen sich seit 1947 immer wieder in kleineren bis großen Scharmützeln gegenüber, und gerade jetzt zündelten beide wieder an einer gefährlichen Lunte. Das war auch insofern nicht ohne, weil Pakistan die 1893 gezogene »Durand-Linie«, die Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan, nie akzeptiert hatte und dieses Gebiet einem Pulverfass glich. In diesen gesetzlosen »Tribal Areas«, in die sich vermutlich ein Großteil der »schwarzen Khmer«, die Taliban, zurückgezogen hat, wagt sich nicht einmal die pakistanische Armee hinein. Dennoch betrachtet Pakistan das Nachbarland Afghanistan als natürlichen Rückzugsraum, den es bei kriegerischen Auseinandersetzungen mit Indien ausgenutzt hätte. Dies missfällt selbstverständlich einigen der afghanischen Volksgruppen
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