Endstation Kabul
Und persönlich kennenlernen wollten sie meine Quelle auch. »Das kann ich Ihnen nicht versprechen«, sagte ich. »Ich muss die Frau zuerst fragen«, worauf die beiden Geheimdienstler verständnisvoll nickten. Dann erklärten sie das übliche Procedere, wonach ich vor jeder Aktion eine Kurzeinweisung von einem der beiden bekäme.
Sie schauten mich auffordernd an, als hätten sie mir soeben ein lukratives Angebot gemacht, das ich kaum ausschlagen könne. Dabei ging es bei diesem Job nicht um Geld, zumindest hatten sie mir keine Vergütung angeboten. Ich lehnte mich zurück und wartete ab. »Und, was halten Sie von unserem Vorschlag?«, fragte mich einer der beiden schließlich. In meinem Kopf ratterte es. Mir schossen die verschiedensten Geschichten durch den Kopf und vor allem eine Warnung von Alex: »Achtung, bei Diensten wird es meist sehr schnell sehr dreckig!«
Noch am selben Tage abends, meinten sie, solle ich loslegen und sie beide mit »meiner« Delegierten der Loya Jirga zusammenbringen, um Tendenzen des ersten Verhandlungstages aus erster Hand zu erhalten. Nach kurzem Überlegen sagte ich zu – vor allem aus dem Grund, weil ich ja bald »solo« sein sollte, wenn Alex das Land verließ. Ich hatte absolut keine Lust, wieder den Platz des »Watchkeepers« in der OPZ im Camp zu besetzen. Grübelnd drehte ich meine Runde im Hotel und fragte mich, ob ich das Richtige tat.
Völlig in Gedanken ging ich in unseren Ruheraum, wo mich fast der Schlag traf. Als ich die Tür öffnete, wich ich sofort von dem Gestank, der mir entgegenschlug, zurück. Ist hier jemand gestorben?, fragte ich mich. Ich begann, durch den Mund zu atmen und den Raum zu inspizieren. Unsere Politprominenz verstand sich offensichtlich aufs Feiern. Aus dem völlig verwüsteten Zimmer schlug mir eine Alkoholfahne entgegen, die nicht mehr feierlich war. Es roch, als ob ein Fass Bier ausgelaufen wäre. Aber da war auch noch ein anderer stechender Geruch. Sie hatten auch noch die Toiletten benutzt, leider nicht ganz sachgemäß: Da die Toiletten wegen Wassermangels funktionsuntüchtig waren, stank es aus dem Klosett gottserbärmlich nach Fäkalien. Zu allem Überfluss hatten sie sich nicht nur auf die defekte Toilette beschränkt, nein, sie hatten auch noch die Badewanne für ihr Geschäft missbraucht. Ich würgte. Mit leerem Blick starrte ich das Chaos vor mir an und wusste: Hier kann ich nicht schlafen. Entnervt warf ich die Tür hinter mir zu und ergriff die Flucht. Auf dem Balkon legte ich mich hin und schlief dort, in der prallen Sonne, sofort ein.
Als ich von meinem Nickerchen erwachte, gab es schon wieder Neuigkeiten. Der für heute angekündigte Beginn der Loya Jirga stand auf dem Spiel, weil es Stress zwischen Paschtunen und Tadschiken gab. Niemand von den beiden Gruppierungen war bereit, vor dem Versammlungszelt seine Waffen abzugeben. Durch unsere Ferngläser konnten wir das aufgeregte Treiben gut sehen. Die Situation eskalierte, und es kam zu Handgreiflichkeiten. Eine Verschiebung des Versammlungsbeginns war in der Tat unumgänglich, damit sich die Gemüter abkühlen konnten. Dann schlug auch noch eine Rakete in dem uns gegenüberliegenden Berg ein. Dieser lag in Luftlinie circa vier Kilometer vom Hotel und Zelt entfernt. Die Mamba-Meldung erfolgte prompt, allerdings wurden wir weder informiert noch gewarnt. Als wir nachträglich von der Rakete erfuhren, fühlten wir uns ehrlich gesagt total verarscht. Im ersten Moment wollte ich wutentbrannt die OPZ stürmen und nachfragen, wer die Dreistigkeit besitzt, uns vor anfliegenden Raketen nicht zu warnen, sondern erst im Nachhinein zu informieren, wenn alles vorbei war?
Alex, genauso erzürnt darüber, behielt trotzdem einen kühlen Kopf und beruhigte mich. Wir beide waren völlig fassungslos. Wurde es tatsächlich nicht für nötig befunden, die eigenen Leute über eine Gefahrensituation zu unterrichten aus Angst vor einer Panik? Na gute Nacht! Wäre die Rakete an diesem Tag in das Interconti eingeschlagen, hätte es Panik gegeben und noch ein paar Dutzend Tote dazu. Die dahinterstehende Logik konnte ich als potentiell Betroffener nicht einen Millimeter nachvollziehen. Wahrscheinlich muss man, um so eine Entscheidung zu treffen, weit weg vom Ort des Geschehens in einem klimatisierten Büro sitzen.
Am nächsten Tag war der alte König, Zaher Schah, der Grund für Turbulenzen. Nach fast dreißig Jahren im italienischen Exil, wo er 1973 während eines Kururlaubs von einem Putsch seines
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