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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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Schwagers überrascht worden war, war er im April 2002 als einfacher Bürger in sein Heimatland zurückgekehrt. Ohne seine Vermittlungsdienste und sein Engagement wäre es nie zur Loya Jirga gekommen. Nun hatte er mitgeteilt, dass auch er als Präsident kandidieren wolle. Dies löste eine Entrüstung unter einigen Delegierten der Loya Jirga aus. Diejenigen, denen schon vorab ein bestimmter Posten versprochen worden war, machten ordentlich Rambazamba und drohten sogar mit Krieg. Durch den massiven Druck der Amerikaner verzichtete Zaher Schah schließlich auf seine Kandidatur. Doch sein Volk verehrte diesen Mann, der aus Dankbarkeit sogar »Babar-e Melat« genannt wurde, Vater der Nation. Als er am 23. Juli 2007 im hohen Alter von 92 Jahren starb, starb nicht nur der letzte Spross der königlichen Dynastie, sondern auch eine Integrationsfigur für weite Teile der Bevölkerung. Über alle Grenzen und Komplikationen der vielen Ethnien hinweg wurde dieser alte, gebrochene Mann wenn nicht geliebt, so doch stark respektiert.
    Was für eine Ikone Zaher Schah für einige alte Afghanen war, wurde mir klar, als mir später ein auf dem Flughafen eingesetzter Soldat folgende Geschichte erzählte: Ein ehemaliger königstreuer afghanischer Kampfpilot, der seit den Achtzigern in Pakistan lebte, war so begeistert über die Rückkehr seines Königs in sein Heimatland, dass er kurzerhand ein Jagdflugzeug kaperte und damit nach Kabul flog, um Zaher Schah zu begrüßen. Beim illegalen Grenzüberflug wurde er von pakistanischen Kampfflugzeugen unter Feuer genommen, wodurch sein Flugzeug stark am Tank beschädigt wurde. Würde der auslaufende Sprit bis Kabul halten oder sollte er besser notlanden? Der alte Veteran löste das Problem sehr abgebrüht: Er flog den Rest der Strecke einfach auf dem Rücken! Kurz vor der Landung drehte er seine Maschine wieder, fuhr das Fahrwerk aus und landete wohlbehalten auf dem KIA. Dort wurde er sofort festgenommen, allerdings bekam er seinen wohl sehnlichsten Wunsch erfüllt: Er durfte seinem König gegenübertreten.
    Am nächsten Tag erhielten wir eine CIA-Warnung, wonach sich zwei Attentäter im Bereich der Loya Jirga oder des Hotels aufhielten. Für alle Bereiche wurde die höchste Alarmstufe ausgerufen. Wir verstärkten unsere Patrouillen in und um das Hotel und versuchten alles im Blick zu behalten. Zum Glück passierte an diesem Tag nichts. Abends ging ich wieder in die Lobby. Am Nebentisch wurde erzählt, im Bereich der Innenstadt sei es zu ersten Schusswechseln zwischen Engländern und »Irregulären«, also nicht zuordenbaren afghanischen Bewaffneten, gekommen. Ich traf die deutschsprachige Delegierte und fragte sie, was sie darüber wisse. Auch meine beiden »Schatten«, die deutschen Geheimdienstoffiziere, waren vor Ort. Ich fragte die Loya-Jirga-Abgeordnete ganz zwanglos, ob es ihr etwas ausmache, etwas später auch mal mit zwei Bundeswehroffizieren zu reden. Sie blickte mich skeptisch an und nickte dann. Keine Ahnung, warum sie mir traute. Sie hatte wohl einen Narren an mir gefressen. Später machte ich sie dann mit den beiden Offizieren bekannt und verabschiedete mich kurz darauf. Ich kann also nicht sagen, über welche Themen sie miteinander gesprochen haben. Es kam aber zu keinem zweiten Treffen zwischen den dreien. Ein paar Mal in meiner Zeit im Interconti sah und sprach ich sie noch, aber auch sie ging nicht auf den Abend mit den beiden Offizieren ein.
    Endlich, mit einem Tag Verspätung, begann die Loya Jirga, am 12. Juni. Es blieb verhältnismäßig ruhig. Es wurde zwar Artilleriebeschuss gemeldet, aber im gleichen Atemzug kam die Entwarnung. Alex warnte mich eindringlich vor meinem Kontakt mit dem MAD. »In diesem Geschäft kommt man nicht sauber wieder heraus«, meinte er. Ich versprach ihm vorsichtig zu sein. Am Abend sahen wir in der Lobby die ersten Bilder der Loya Jirga im Fernsehen. Auch die offizielle Abdankung oder vielmehr die zurückgezogene Präsidentschaftskandidatur des Ex-Königs wurde gemeldet. Unterschiedlichere Reaktionen hatte ich noch nicht gesehen. Die vor dem Fernseher Versammelten zeigten alle möglichen Gefühle, von Genugtuung bis hin zu Enttäuschung und Sorge. Die Amerikaner hatten ganze Arbeit geleistet, um ihren Favoriten Hamid Karzai durchzusetzen. Die Lage entspannte sich zusehends dadurch. Die CNN-Reporterin, eine absolute Schönheit, war für mich die Attraktion dieses Tages. Von Dutzenden Augenpaaren verfolgt, stöckelte sie durch die Lobby. Sie genoss

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