Endstation Kabul
seiner Ruhe und seinem Verhandlungsgeschick den Kopf gerettet. Ein falsches Wort oder eine unbedachte Geste – und die »Tagesschau« hätte ein Gefecht mit vielleicht zehn oder noch mehr toten deutschen Soldaten und etlichen Afghanen melden und die Aufnahmen des chinesischen Fernsehteams zeigen können. Es wären Bilder gewesen, die um die Welt gegangen wären und die deutsche Öffentlichkeit schockiert hätten. Die Anspannung löste sich, und ich atmete tief durch. Die vier Festgenommenen wurden der afghanischen Polizei übergeben (also in Wirklichkeit freigelassen) und die Parteien trennten sich, mit den üblichen Beschimpfungen und dem Bespucken von afghanischer Seite.
Dieses Intermezzo sollte noch ein Nachspiel haben. Die festgenommenen Afghanen beschwerten sich über die Patrouille, die prompt von unserer Führung, mal wieder, gerüffelt wurde. Die Schuld der Eskalation wurde ganz klar bei der deutschen Patrouille gesehen. Es war einfach unfassbar: Hier konnte einem wirklich jeder ungestraft die Waffe vors Gesicht halten! Wenn wir nach unseren »Rules of Engagement« handelten, wurden wir von unserer eigenen militärischen Führung beschimpft! Die Beteiligten fühlten sich wie Bauernopfer, die für ein interkulturelles Appeasement geopfert wurden. Dabei wäre ein bisschen mehr Rückendeckung von der eigenen Führung aus moralischen Gründen enorm wichtig und auch erwartbar gewesen. Natürlich waren wir nur geduldete Gäste in diesem Land. Und natürlich wussten wir, dass die militärische Führung sich oft in Diplomatie üben musste. Trotzdem waren wir frustriert. Da taten wir unseren Dienst 6600 Kilometer entfernt von der Heimat und standen unter einer nicht geringen körperlichen und seelischen Belastung. Und dann bekam man noch laufend Tritte in den Hintern, und zwar aus allen Richtungen. Ständig wurde einem Fehlverhalten vorgeworfen. Dabei setzten wir nur so gut wie möglich unser Mandat um: die Interimsregierung bei der Herstellung und Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung zu unterstützen. Nichts anderes machte diese Patrouille an diesem Tag: Sie kontrollierte, wer diese Horde Bewaffneter war, die sich in einem sicherheitsrelevanten Bereich, nämlich dem des Hotels Interconti nahe der Loya Jirga, aufhielt. Unser »robustes Mandat« sah in solchen Bedrohungslagen eindeutig den Gebrauch der Schusswaffe vor. Sollten wir uns hier von jedem buchstäblich »die Pistole auf die Brust setzen lassen« ohne Gegenwehr? War es das, was die politische und militärische Führung wollte?
Abends tauschte ich mich mit Kameraden über meine neuesten Erlebnisse aus. Dirk Schulze war mit seinem Fallschirmjäger-Kameraden Ingo zu Besuch gekommen. In einer ruhigen Minute erzählte ich Dirk von meinem Gespräch mit den deutschen Geheimdienstoffizieren. Ich kannte ihn schon sehr lange und vertraute ihm. Er war auch der diensthabende Oberleutnant der QRF am Tag des ominösen MIG-Absturzes hinter unserem Camp. Er hörte sich meine Geschichte an, nickte nur, seufzte und meinte: »Mensch Achim, wo bist du da denn wieder reingeraten?« Ich zuckte mit den Schultern und wollte seine Meinung dazu hören. Er versprach mir, sich umzuhören, welche deutschen Geheimdienste vor Ort wären, weil ihm die Sache mit dem MAD komisch vorkam. Eigentlich, so meinte er, könne es sich nur um Leute vom BND handeln, da der Aktionsradius des MAD gesetzlich auf das Camp beschränkt war. Dem MAD-Gesetz zufolge bestehen dessen Aufgaben in der Abwehr von Spionage und verfassungsfeindlichen Bestrebungen innerhalb der Bundeswehr. Der MAD durfte also nicht außerhalb deutscher militärischer Anlagen arbeiten. Erst 2006 trat eine (nachträgliche) Änderung des MAD-Gesetzes in Kraft. Seitdem darf der MAD offiziell ohne Beschränkungen im Ausland operieren.
Trotzdem traf ich mich am späten Nachmittag mit den beiden Geheimdienstoffizieren in der Hotellobby. Mein Vertrauen ichnen gegenüber war zwar leicht getrübt, aber ich fragte sie nicht, für welchen Arbeitgeber sie tatsächlich im Land waren. Ich hätte wahrscheinlich eh keine ehrliche Antwort bekommen. Also gab ich ihnen die neuesten Einschätzungen meiner Quelle weiter. Im Stillen dachte ich nur: Hoffentlich mache ich keinen Fehler, mich auf dieses Spiel einzulassen. Aber allen Warnungen zum Trotz reizte mich dieses »Spiel« auch irgendwie. Und wenn die von mir ohnehin in der OPZ abgelieferten Informationen nun auch einem deutschen Geheimdienst weiterhalfen, war das doch eigentlich okay und nichts
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