Endstation Kabul
Gelände sehr gut einzusehen war und dort auch das Wachhäuschen stand. Wir schlugen also einen Bogen um diesen Bereich und näherten uns aus südwestlicher Richtung an das Objekt auf dem Plateau an. Dabei bewegten wir uns fast parallel zu der Straße, die dort hinaufführte. Irgendwann trafen wir auf einen kleinen Zaun, der das Grundstück eingrenzte, und folgten ihm. Nach ein paar Minuten endete diese Umzäunung, und wir alle wussten, warum. Vor uns ragte ziemlich steil eine Felsnase in den dunklen Himmel. Vermutlich dachten die Wachen, dass sich eh kein Mensch den Strapazen eines Aufstiegs aussetzen würde. Unser Glück!
Wir machten uns daran, den Felsen zu bezwingen. Der Aufstieg bei Nacht gestaltete sich einfacher, als wir alle gedacht hatten. Das Gelände war zwar sehr steil, allerdings lag nirgends loses Geröll herum, das uns in die Quere kommen oder durch eine Steinlawine auf uns aufmerksam hätte machen können. Wir kamen zügig und gut voran. Je näher das Plateau mit dem Haus kam, desto langsamer und vorsichtiger wurden wir, um möglichst keine Geräusche zu verursachen. Wachen oder Patrouillen konnten wir bis jetzt nicht erkennen. Sie fühlten sich anscheinend sehr sicher auf diesem Berg.
Schon glitten die Ersten auf den Bauch. Keine Bewegung zu erkennen. Vor uns lag so etwas wie ein Hof, das Hauptgebäude befand sich schräg rechts vor uns. Leicht links von uns lag ein etwas kleineres Gebäude, vielleicht ein Gästehaus oder ein wieteres Wachgebäude. Noch immer rührte sich nichts auf dem Anwesen, alle schienen tief und fest zu schlafen. Der Mond schien in dieser Nacht sehr hell, der Hof lag in fahles Mondlicht getaucht vor uns. Eine Überquerung dieser freien Fläche hielten wir angesichts der Lichtverhältnisse für zu riskant. Deshalb beschlossen wir, unser Glück bei dem Nebengebäude zu versuchen, das deutlich näher lag und per gedeckter Annäherung erreichbar war. Nachdem wir es ohne Zwischenfälle erreichten, zogen wir unter leisem Rascheln die Zeitungen heraus und legten sie gut sichtbar aus. Pieter, der ein echter Spaßvogel war, ließ es sich nicht nehmen, zusätzlich eine Hauswand mit ISAF-Aufklebern zu tapezieren. Nicht einer oder zwei, nein: ein gutes Dutzend Aufkleber wurden von ihm angebracht! Wir alle mussten, trotz des Ernstes der Lage, schmunzeln. Hätte man uns erwischt, wäre die Situation vermutlich sofort zu einer wilden Schießerei ausgeartet. Nachdem auch der letzte Aufkleber seinen Platz gefunden hatte, zogen wir, unter gegenseitiger Sicherung, langsam wieder ab.
Den schwierigsten Teil der Übung hatten wir hinter uns gebracht. Vor uns lag nur noch der relativ leichte Abstieg. Auch dieser glückte, alles ging leise und geordnet vonstatten. Nachdem wir per Funk Verbindung mit unseren Sicherungsleuten an den Fahrzeugen aufgenommen hatten und uns in relativer Sicherheit befanden, glucksten wir vor Vergnügen. Die ganze Aktion hatte uns bloß circa drei Stunden gekostet. Genüsslich malten wir uns die Gesichter der Wachen aus. Wie die wohl gucken würden, wenn sie am nächsten Morgen unsere kleine Aufmerksamkeit vorfänden?
Vergnügt traten wir den Rückweg an und konnten es kaum erwarten, unsere Operation bei Tageslicht fortzusetzen. Ich konnte kaum schlafen und beschwor den Zeiger der Uhr, sich gefälligst schneller zu drehen. Nach einem kurzen Frühstück war es endlich so weit. Wir alle waren sehr gespannt auf die Reaktion. Gegen acht Uhr fuhren wir nach Paghman, wo wir bereits vor Tagen eine offizielle Patrouille für dieses Datum angemeldet hatten. Wir erreichten den Wachposten am Fuße des Berges und wurden, wie schon einmal, freundlich begrüßt. Wir tauschten ein paar Höflichkeiten aus, und natürlich übergaben wir Zigaretten. Dann stellte unser Teamführer Andrik die entscheidende Frage: »Wie gefällt Ihnen unsere ISAF-Zeitung? Hatten Sie schon Gelegenheit, darin zu lesen?«
Das saß! Gleichzeitig zog er eine ISAF-Zeitung und einen Aufkleber aus dem Wagen und hielt sie mit fragendem Gesichtsausdruck den beiden Wachleuten hin. Als der Sprachmittler mit seiner Übersetzung fertig war, erstarrten die beiden und sahen sich an. Ratlosigkeit und Respekt standen abwechselnd in ihren Gesichtern. Auch glitt ihr Blick immer wieder auf die Zeitung vor ihrer Nase. Offensichtlich kannten sie diese Ausgabe. Vermutlich hatten die Verantwortlichen schon ihren Rüffel erhalten, nachdem unsere nächtlichen Geschenke gefunden worden waren.
Einer der beiden bedeutete uns zu warten
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