Endstation Kabul
Kosten für Hubschrauber, Fahrzeuge, gepanzerte Verbände, die für eine sichere Evakuierung unweigerlich anfallen, nicht auf ihre Kappe nehmen. Diese Doppelzüngigkeit macht mich bis heute wütend. Wenn es der Wille der Bundesregierung ist, sich mit internationalen Einsätzen der Bundeswehr zu profilieren, dann soll sie bitte schön auch die entsprechenden finanziellen Rahmenbedingungen für entsprechende Sicherheitsvorkehrungen schaffen. Im Kosovo-Konflikt zum Beispiel wäre die sichere Verlegung der Soldaten im Evakuierungsfall kein Problem gewesen. Tja, war halt quasi »um die Ecke« und entsprechend billiger. Dabei waren in den vergangenen Jahren immer wieder deutsche Politiker im Kessel Kabul zu Besuch und konnten sich selbst ein Bild von der Lage machen. Aber sie haben wohl alle ihren Scholl-Latour nicht aufmerksam gelesen. In »Der Fluch des neuen Jahrtausends. Eine Bilanz«, erschienen im Februar 2002, hat er bereits eindrücklich auf die geografisch schwierige Lage für Truppen in Afghanistan hingewiesen und sich oft zu den Schwierigkeiten einer Evakuierung geäußert. Zumindest Leute mit etwas militärischem Sachverstand (die es wenn schon nicht in der Politik, dann doch wenigstens in der Bundeswehr oder im Verteidigungsministerium geben müsste) wussten um die Lage – und nichts Entscheidendes passierte.
Auf dem Rückweg nach Kabul fuhren wir über die weiter westlich zur Route Bottle gelegene Route Horseshoe. Das Bild ähnelte dem der Hinfahrt. Es gab allerdings mehr Ansiedlungen und noch mehr Panzer. Diese Option entfiel also ebenso wie die Bottle, zumal der Zugang zu dieser Straße aus Kabul nur über den nördlichen Stadtbezirk möglich war, also wieder ein Nadelöhr. Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte: Eine Überlandroute war nicht realisierbar, ohne dass wir auf das Übelste zusammengeschossen worden wären.
Endlich erreichten wir nach achtstündiger Erkundungsfahrt wieder die Stadtgrenzen von Kabul, und ich fühlte die enorme Anspannung von mir abfallen. Obwohl wir uns nur wenig außerhalb der Fahrzeuge bewegt hatten, waren wir alle körperlich völlig am Ende. Endlich konnten wir die schweren Bristol-Schutzwesten ausziehen. Diese Westen schützen sogar vor Beschuss aus einem Maschinengewehr, allerdings hat diese Sicherheit auch ihren Preis. Das Gewicht! Schwere Titanplatten sorgen dafür, dass die Geschosse gebremst und anschließend von den Kevlarfasern aufgehalten werden. Zu den 15 Kilogramm der Weste kam noch die Munition, insgesamt kamen ganz schnell mehr als 20 Kilo zusammen. Kein Wunder, dass am Anfang alle Nackenschmerzen hatten, weil das ganze Gewicht auf den Schultern lastete. Schlimmer war aber, dass unter der engen Weste Luftzirkulation praktisch ausgeschlossen war. Bei 30 Grad und mehr im Schatten hatte der Kreislauf also ordentlich zu tun.
Nachdem wir erst mal unser ganzes Material zur Auswertung in der OPZ der KMNB abgegeben hatten, machte sich schnell Ernüchterung breit. Die Annahme, dass die von uns ausgekundschafteten Routen keinesfalls geeignet waren zur Evakuierung eines so großen Verbands, hatte sich vollends bestätigt und wurde auch von den Offizieren des internationalen Einsatzverbands bestätigt. Nachdem ich meine Waffen und meine Ausrüstung gereinigt hatte und auf dem Feldbett lag, ließ ich die Eindrücke des Tages nochmals Revue passieren. Es war frustrierend gewesen, diese Strecke mit eigenen Augen gesehen zu haben. Ich konnte nur inständig hoffen, dass niemals eine solche Evakuierung würde durchgeführt werden müssen. Das Selbsterlebte war überwältigender als meine ungute Vorahnung oder eine reine Lageeinschätzung am Kartentisch.
Gefechtsfeldtourismus und andere deutsche Spezialitäten
Drei Tage später kündigte sich der stellvertretende Kommandeur der Luftlandebrigade bei uns an. Er hielt am Standort in Oldenburg die Stellung und wollte sich informieren, wie es seinen in Kabul eingesetzten Soldaten erging, und ein bisschen was von der Stadt sehen. Für solche Besuche hatte sich bereits nach wenigen Wochen in diesem Land eine Sightseeingtour etabliert, in deren Genuss alle Besucher kamen. Die Route führte für gewöhnlich an einem markanten Punkt, dem »Hotel Kabul« vorbei, direkt in den inneren Stadtbezirk mit seinen Märkten. Es lag in unmittelbarer Nachbarschaft zum Regierungsviertel und hatte einst vielen Staatsgästen als Unterkunft gedient. Doch dann war es bei einem Sprengstoff-Anschlag auf Ahmad Massud, einen wichtigen Führer der
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