Endstation Kabul
standen wie zu Salzsäulen erstarrt auf diesem Weg in 4500 Metern Höhe. Um uns herum kein Lufthauch, kein Vogelgezwitscher oder sonstige Geräusche – nur Totenstille. Ich verfluchte mich, dass wir unsere Funkgeräte in den Fahrzeugen gelassen hatten. So hatten wir keine Chance, unsere sechs Kameraden zu erreichen.
Minute um Minute verging, aber keiner rührte sich. Nur zehn Meter hinter uns standen die beiden Fahrzeuge, zwanzig Meter vor uns die acht Afghanen. Ich hörte ein leises »Shit, Shit!« von meinem Kameraden. Ich kam mir langsam vor wie in einem schlechten Western vor dem »Shoot out«, das uns hoffentlich nicht bevorstand. Hätte sich die Gruppe vor uns entschlossen, das Feuer auf uns zu eröffnen, wir hätten nicht den Hauch einer Chance gehabt, standen wir doch auf deckungslosem Gelände. Langsam verkrampfte sich meine Beinmuskulatur und ich hätte unsere »Spiegel« am liebsten angebrüllt, riss mich aber zusammen. Ich wagte keinen Schritt zur Entlastung von Rücken oder Beinen zu tun, sondern versuchte wirklich reglos zu stehen, was nicht so einfach ist, wie es sich anhört. Vor allem, wenn sich Minute an Minute reiht, wenn man steht und steht und steht. Langsam, aber sicher fing nun auch mein Rücken an, heftigst gegen diese Belastung zu protestieren. Es pochte immer mehr in meinen Beinen, mein Rücken begann sich zu verkrampfen. Trotz Hitze fühlte sich mein Körper an wie eingefroren, dafür lief mein Geist auf Hochtouren und ich entwickelte seltsame Fantasien: Wenn die anderen vom Gipfel zurückkämen, müssten sie uns beide hochheben und in die Fahrzeuge legen, weil wir total bewegungsunfähig sind, dachte ich mir. Fast musste ich lachen bei den Bildern, die mir durch den Kopf schwirrten. Aber das unterdrückte ich natürlich und stand weiter reglos da.
So standen wir, ohne dass die Situation weniger gefährlich geworden oder eine Lösung in Sicht gewesen wäre. Wo um alles in der Welt blieb denn unser Team? Mussten die nicht längst vom Berg zurück sein? Unsere Nervenkostüme waren bis zum Zerreißen gespannt. Nach einer mir endlos erscheinenden Zeit griff einer der Männer plötzlich in seine Tasche. Im ersten Moment dachte ich, jetzt fängst du aber an zu halluzinieren, so unwirklich kam mir diese Bewegung vor. Das scharfe Lufteinziehen meines Kameraden Lambert belehrte mich aber eines Besseren. Mein einziger Gedanke war: Bitte mach, dass ich mich bewegen kann, falls der Mann eine Waffe zieht. Ich war mir alles andere als sicher, ob das klappen würde. Doch der Afghane zog keine Waffe aus der Tasche: Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, hatte er einen kleinen Hirsefladen in der Hand. Diesen hielt er nun, mit einer einladenden Handbewegung, in unsere Richtung. Er sagte etwas, was mir sehr bekannt vorkam und der Anfang eines Gebets ist. »Alhamdulillah.« Mustafa, unser Sprachmittler, hatte einmal gesagt, dass dieser Ausspruch immer eine freundliche Geste sei, eine Art Einladung und Beweis der Friedlichkeit. Langsam, ganz langsam entspannte ich mich.
So verstohlen wie möglich begann ich, meine Zehen und meine Füße zu bewegen. Die mussten kurz vorm Absterben gewesen sein, so sehr kribbelten sie. Ich musste mich schwer zusammenreißen, um nicht aufzuschreien. Sehr langsam kehrte wieder Gefühl in meine Beine zurück, und wir bewegten uns, nach einem Kopfnicken, in Richtung der acht Mann. Sie hatten sich bereits zu einem Kreis niedergelassen und forderten uns auf, dazuzukommen. Fast beiläufig warf ich einen Blick auf meine Uhr und versuchte mich zu erinnern, wann wir dieses kleine Plateau unterhalb des Gipfels erreicht hatten. Das kann nicht sein, dachte ich nur. Fast zwei Stunden war das her gewesen! Über hundert lange Minuten hatten wir regungslos diesen acht Afghanen gegenübergestanden, die uns nun aus unserer misslichen Situation befreit hatten. Auch Lambert guckte mich fragend und irritiert an. Ich zuckte nur mit den Schultern, dann ließen wir uns in dem Kreis nieder.
Fast hätte ich vor Wonne aufgestöhnt, als mein Rücken endlich entlastet wurde. Ein leichtes Lächeln umspielte das Gesicht des afghanischen Anführers, als er merkte, wie hüftsteif wir uns bewegten. Er und seine Leute zeigten nicht die geringste Spur einer Anstrengung. Ich war wieder einmal von der Zähigkeit dieser Menschen beeindruckt. Und, nachdem die heikle Situation sich nun in Wohlgefallen aufgelöst hatte, auch von ihrer Freundlichkeit. Lambert und ich genossen nun das Gastrecht, ein wesentliches
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