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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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Situation in der Stadt eskalieren könnte. Die Stimmung war so aufgeladen, dass in der von Menschen übervollen Stadt womöglich ein unbedachter Schubser im falschen Moment ausreichte, einen schweren Konflikt und totales Chaos auszulösen. Der Großteil der Feier sollte im alten Olympia-Stadion stattfinden. Dort war zwar nie eine Olympiade gewesen, aber die Sportstätte wurde so genannt, da sich dort die afghanischen Sportler vor einer Olympiade vorbereiteten. Sogar eine afghanische Fallschirmspringerin sollte mit einer Hochleistungsrundkappe – trotz des Namens ist dieses System hoffnungslos veraltet – in das Stadion springen. Ich schüttelte mich bei dem Gedanken, mit so einem alten System springen zu müssen. Das konnte nämlich ganz schön ins Auge gehen. Glücklicherweise blieb es an diesem Tag ruhig. Na ja, es war ja schon genug vorgefallen.
    Am nächsten Tag war unser Kanister, den wir als Toilette benutzten, voll. Wir wollten die Nacht nutzen, um ihn zu entleeren. Mit einer Taschenlampe zwischen den Zähnen löste ich vorsichtig die Stolperdrähte auf der Treppe und vor der Tür nach hinten. Mein Teamführer wartete, mit dem Kanister am ausgestreckten Arm, einige Schritte hinter mir. Nachdem alles sicher war, gab ich ihm ein Zeichen, und wir gingen nach draußen. Unsere Nachtsehbrillen ermöglichten uns gute Sicht, sodass wir nicht mit dieser »gefährlichen« Ladung im Kanister ins Stolpern kamen. Nach wenigen Schritten waren wir an einem Graben angelangt, der unsere Fracht aufnahm. Die Dunkelheit nutzend, machten wir gleich noch einen Rundgang um das Gebäude.
    In etwa hundert Metern Entfernung sahen wir einen afghanischen Checkpoint. Durch unsere Brillen konnten wir grünstichig vier Polizisten erkennen. Wir entschlossen uns, Verbindung mit ihnen aufzunehmen. Die vier zuckten sichtlich zusammen, als wir wie aus dem Nichts vor ihnen auftauchten. Normalerweise lief ja auch während der Sperrstunde niemand draußen herum, höchstens Patrouillen der ISAF. Hauptsächlich konzentrierten sich die Polizisten in ihrer Nachtschicht also auf Fahrzeuge und achteten auf Motorengeräusche. Als sie nach dem ersten Schrecken unsere Uniformen erkannten, fingen sie sich schnell wieder und guckten uns gespannt an. Wie immer verteilte ich gleich Zigaretten. Es klappte, auch wie immer: Sofort entspannten sie sich, und wir standen zusammen rauchend in der Nacht.
    Ich wusste, dass die Verpflegung der Polizisten nicht gerade üppig war, genauso wie ihre Bezahlung. Sie mussten sich im Wesentlichen selbst verpflegen, was vor allem für die Jüngeren ein beinahe unmögliches Unterfangen war. Weil bei den Jungen wie überall auf der Welt das Geld lockerer saß als bei Älteren, waren sie ständig pleite. Noch dazu wurden ihre Gehälter alles andere als pünktlich ausgezahlt. Viele rauchten, um ihr Hungergefühl zu unterdrücken. Zigaretten und Tabak sind in Afghanistan nicht sehr teuer, zumindest die Waren, die vor Ort oder in einem der Nachbarländer hergestellt wurden. Wahre Lungentorpedos, bei denen einem die Luft wegblieb.
    Wir versuchten uns mit Händen und Füßen zu verständigen, was uns auch gelang. Natürlich waren sie, wie jeder Mann in diesem Land, von unseren Waffen angetan. Wir zeigten sie ihnen, und auch sie zeigten uns stolz ihre russischen Sturmgewehre vom Typ AK 47 oder AK 74. Diese waren in einem erstaunlich schlechten Zustand, was mich wunderte. Eigentlich hegten und pflegten die afghanischen Polizisten ihre Waffen sehr gut, wie wir bisher gesehen hatten. Mit diesen Geräten hätte ich Angst gehabt, einen Schuss abzufeuern. Dann die nächste Überraschung: Nur einer der vier Männer hatte auch Munition in der Waffe, und zwar exakt fünf Schuss. Der Zustand der Munition war ebenfalls erbärmlich. Ich sah meinen Teamführer an. Arme Schweine, war in seinem Blick zu lesen – Bauernopfer, die einem Angreifer aus der Dunkelheit schutzlos ausgeliefert wären. Auch Funkgeräte sahen wir keine. Ungefähr eine Stunde und etliche Zigaretten später machten wir uns über einige Umwege zurück in unser Versteck. Gegen vier erklang der Ruf zum Gebet aus der nahen Moschee. Für uns das Zeichen zum Schichtwechsel. Nichts los. Gegen halb fünf dann zu unserer Erheiterung Teil 2 der »Snedder-Parade«.
     
    Es war der Tag, an dem die offiziellen Feierlichkeiten zu Ehren des getöteten Volkshelden Ahmed Massud begannen. Schon sehr früh am Morgen wurden an fast allen Häusern Bilder mit seinem Konterfei herausgehängt. An

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