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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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um sie an die afghanische Polizei zu übergeben. Den »Rules of Engagement« zufolge eine absolut korrekte Vorgehensweise. Was aber nichts nutzte.
    Einer der Insassen war wohl ein Verwandter des Polizeichefs von Kabul, General Ahnan. Als dieser von dem Vorfall erfuhr, soll er außer sich gewesen sein vor Wut. Tobend verlangte er, dass ihm der Führer dieses deutschen Checkpoints und der Soldat, der die sechs Afghanen vorläufig festgenommen hatte, sofort übergeben werden, um seinen Gesichtsverlust auszugleichen. Das kam natürlich nicht in Frage, denn dieser Soldat hatte vollkommen zu Recht gehandelt. Also nahm diese Farce weiter ihren Lauf. Als dem Wunsch des afghanischen Generals nicht stattgegeben wurde, fing er an zu drohen: Wenn er seinen Willen – sprich: die beiden Soldaten – nicht bekäme, würde er mit seinen Polizeitruppen in den nächsten Tagen gegen ISAF vorgehen. Das hatte uns gerade noch gefehlt!
    Angesichts der sich permanent zuspitzenden Situation gab unser vorgeschobener Gefechtsstand um vier Uhr früh eine sogenannte 15-Minuten-Bereitschaftsstufe aus: Alle mussten sich innerhalb von fünfzehn Minuten an ihren OPs bereithalten, um von der zuständigen QRF in ihrem Raum abgeholt zu werden, falls sich die Lage weiter zuspitzte. Wir verpackten unsere Ausrüstung und legten alles bereit, um im Bedarfsfall schnell verlegen zu können. Dann warteten wir müde in unseren Stellungen. Keiner von uns hatte in den wenigen Nachtstunden ein Auge zugetan, dafür war die Atmosphäre viel zu gespannt gewesen. Schließlich konnte jederzeit ein Alarmruf unseres Gefechtsstands eintreffen.
    Der deutsche General, so bekamen wir über Funk mit, dachte darüber nach, die beiden »Übeltäter« ausfliegen zu lassen, um so die Wogen zu glätten. Dieser Vorschlag wurde von der afghanischen Seite rigoros abgelehnt; Ahnan bestand weiterhin auf einer Auslieferung der beiden Deutschen. Als es beim felsenfesten Nein des deutschen Generals blieb, war der Auftakt für die sich nun überschlagenden Ereignisse gemacht.
    Gegen 3.30 Uhr morgens war es so weit. General Ahnan hatte seine Drohung, gegen die ISAF-Truppen vorzugehen, wahr gemacht. Er setzte tatsächlich zwei BMP-1, das sind Schützenpanzer russischer Bauart, in Richtung der beiden deutschen und niederländischen Gefechtsstände am »Kabul Garrison« in Marsch, wie uns die bedrohten Kollegen über Funk wissen ließen. Besetzt mit Polizisten, fuhren die Panzer vor dem Hauptgebäude auf und richteten ihre Bordwaffen in Richtung der Gefechtsstände. Im Gefechtsstand der Deutschen, die mit so einer Eskalation wenig Erfahrung hatten, herrschte große Aufregung. Die Niederländer sahen es etwas lockerer und blieben cool. Wir schnappten uns unsere Ausrüstung und machten uns marschbereit. Vorher musste ich noch die Handgranaten entschärfen, die ich zu unserer Sicherung angebracht hatte. Wie bei unseren nächtlichen Ausflügen zuvor, machte ich mich an diese Aufgabe. Nur dass ich dieses Mal nicht alle Zeit der Welt hatte. In etwa acht Minuten würde uns die QRF in unserem Versteck abholen.
    Die Nebeltöpfe bzw. Rauchkörper waren das kleinere Problem. Mit Grausen dachte ich an die Handgranate, die es zu sichern galt. Ich begann zu schwitzen. Mit zitternden Fingern griff ich vorsichtig und langsam die Granate und zog sie, den Sicherungsbügel fest in der Hand, aus ihrer Lage. Mein Teamführer, nicht weniger nervös als ich, leuchtete mir mit einer Taschenlampe über die Schulter. Ich schwitzte tennisballgroße Schweißperlen. Einen kurzen, schrecklichen Augenblick hatte ich das Gefühl: Jetzt fällt dir die Granate runter. Als ich sie endlich mit wild klopfendem Herzen im festen Griff hatte, wickelte ich so viel Klebeband um sie herum, wie mir zur Verfügung stand. Ich wickelte und wickelte, bis ich die Rolle verbraucht hatte und die Handgranate wie ein kleiner schwarzer Fußball aussah. Mein Teamführer kommentierte das Ergebnis meiner kleinen Bastelstunde mit lautem Gelächter. Ich konnte nur nervös grinsen. Mit dieser Verpackung wäre es nun ziemlich unwahrscheinlich, dass uns das Mistding im Fahrzeug, ausgelöst durch Vibrationen, vielleicht in die Luft ging.
    Ich verpackte den hochexplosiven »Ball« in meinem Rucksack, unser »Shit bag« packte ich noch obendrauf. Kaum hatte ich die beiden Höllensubstanzen verstaut, wurde über Funk die Ankunft der QRF in knapp einer Minute gemeldet. Noch eine schnelle Kontrolle, ob wir nichts vergessen hatten, und schon standen wir an

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