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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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»normalen« Tagen beherrschte das Bild des Tadschiken schon den gesamten Stadtbereich von Kabul – aber heute gab es wirklich keinen Platz mehr, auf dem kein Bild von ihm hing. Wir fragten uns, was wohl auf der Loya Jirga los gewesen wäre, wenn dieser Mann noch am Leben gewesen und dort gegen Karzai für die Präsidentschaft angetreten wäre. Wie hätten die Amerikaner reagiert? Wir wussten es nicht, waren aber froh, dass die Verhältnisse so weit geklärt waren und wir nicht noch mehr mit innerafghanischen Ränkespielen zu tun bekamen.
    Der Morgen lief sehr ruhig an. Auf dem Marktplatz vor uns ließ sich kaum jemand blicken, was mir fast schon unheimlich war. Bestimmt war die ganze Stadt zur großen Moschee in der Nähe des Stadions gepilgert, um an der Militärparade und den anderen Feierlichkeiten teilzunehmen. Selbst Händler waren kaum zu sehen. Auch sie wollten sich dieses Ereignis nicht entgehen lassen oder versprachen sich heute wohl keinen Profit. Über Funk bekamen wir mit, dass sich eine riesige, kaum überschaubare Menschenmenge auf dem Vorplatz der Moschee eingefunden hatte. Alle Teile der ISAF waren nun in hoher Alarmbereitschaft, hielten sich aber dezent im Hintergrund. Dieses Gefühl absoluter Konzentriertheit sollte sich noch steigern, als die Ankunft des Interimspräsidenten angekündigt wurde. Man konnte die Anspannung während der Funkgespräche quasi riechen. Wir saßen in unserem OP, sahen auf den fast verwaisten Marktplatz und ärgerten uns ein bisschen über die Lage unseres Standorts, weitab von dem ganzen Trubel. Immerhin blieb es den ganzen Tag in der Stadt relativ ruhig, keine besonderen Vorkommnisse. Das lag wohl auch daran, dass das gesamte ISAF-Kontingent in Kabul auf den Beinen war, Präsenz zeigte und über die ganze Stadt verteilt Checkpoints zusammen mit der afghanischen Polizei unterhielt. Am Abend, so nahmen wir uns vor, wollten wir auch zu unseren vier Polizisten hinter dem Haus wieder Verbindung aufnehmen. Diesmal wollten wir den armen Kerlen auch etwas zu essen mitbringen.
    Die Dämmerung setzte ein, was immer überraschend schnell ablief, gleichzeitig erklang der Ruf zum Abendgebet von einem der Minarette unserer Moschee. Langsam entspannten wir uns, der schlimmste Fall war nicht eingetreten: ein Anschlag auf der Veranstaltung mit Hunderttausenden von Menschen. Zum Glück! Mein Teamführer legte bereits etwas Proviant beiseite, für unseren nächtlichen Ausflug zu den Polizisten. Dann das gleiche Spiel wie gestern Nacht: Sicherungen vorsichtig entfernen und über einen Umweg, also nicht direkt aus unserer Stellung heraus, zu dem Checkpoint der afghanischen Polizei. Diesmal zuckten sie nicht zusammen, sondern begrüßten uns freundlich und boten uns Tee an, von dem sie selbst nicht viel hatten. Als wir dann das Essen auspackten, machten sie große Augen. Wir hatten darauf geachtet, nichts mit Schweinefleisch mitzunehmen, und zeigten ihnen auf unserem kleinen mitgebrachten Esbitkocher, wie die Epas zubereitet werden. Erst zögerlich, doch dann mit großem Appetit griffen sie zu. Sie freuten sich riesig und kauten andächtig.
    Als das Mahl beendet war, verabschiedeten wir uns von ihnen. Wir wurden wie alte Freunde verabschiedet, nämlich mit Umarmungen und überschwänglichen Reden, von denen wir natürlich kein Wort verstanden. Als wir zwischen zwei und drei Uhr zurück im Versteck waren, stellten wir wieder unsere Stolperdrähte scharf und legten uns hin, bis zu unserer nächsten Wache. Der 9. September 2002 stand nun vor der Tür. Es war der Todestag des »Löwen von Pandschir«, wie er ehrfürchtig genannt wurde. Doch in der Nacht zu diesem wichtigen Tag kam eine alarmierende Meldung aus dem Funkgerät, die auch uns unmittelbar betreffen sollte.
    Es ging um einen Checkpoint wie den, den mein Buddy und ich vor wenigen Stunden besucht hatten. Allerdings lag er in der Nähe des Camp Warehouse und wurde durch deutsche Fallschirmjäger betrieben. An diesem CP hatten meine deutschen Kollegen einen Wagen angehalten, kontrolliert und Waffen gefunden. Nun muss man dazu sagen, dass seit geraumer Zeit niemand Waffen mit sich führen durfte, der keine Genehmigung der Polizeidienststelle vorweisen konnte. Diese füllte einen Schein aus, segnete ihn mit einem Stempel ab, und dann hatte sich die Sache. Die sechs Insassen dieses Fahrzeugs konnten so einen Schein nicht vorweisen, wollten aber auch nicht ihre Waffen abgeben. Die Fallschirmjäger hielten diese Personen nun vorläufig fest,

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