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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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versuchen, ihre Interessen durchzusetzen.
    Unsere Stimmung war natürlich an einem Tiefpunkt angelangt. Es war der erste Tag an unserem OP, die heiße Phase der Massud-Tage würde erst in zwei Tagen beginnen, und längst steckten wir in diesem blutigen Chaos. Wenn das der Anfang war, wie um alles in der Welt würde dieser Einsatz enden?, fragte ich mich. Ich merkte, wie meine Paranoia gegenüber allem und jedem um noch ein paar Grade stieg. Als der Muezzin beim Sonnenuntergang sein Abendgebet rief, waren wir froh, dass dieser schlimme Tag zu Ende war. Die Nacht wurde allerdings sehr unruhig, da immer noch eine Menge auf dem Marktplatz los war. Die Polizei sperrte den Bereich komplett ab und machte sich an die Rekonstruktion des Anschlags. Wir hofften inständig, dass sie sich auf den unmittelbaren Tatort beschränkten und nicht anfingen, die umliegenden Gebäude abzusuchen. Dann hätte nämlich das nächste Problem vor der Tür gestanden. Erschöpft und erschlagen fand ich in meinen dreistündigen Ruhezeiten doch noch etwas Schlaf.
    Am Morgen, es muss etwa kurz nach fünf Uhr gewesen sein, hörte ich plötzlich ein Klappern. Es klang, als ob jemand ausgehöhlte Kokosnüsse zusammenschlägt, und erinnerte mich an Hufgetrappel. Außerdem waren laute kehlige Rufe afghanischer Männer zu hören, auf die ich mir aber keinen Reim machen konnte. Es klang zwar nicht gerade gefährlich, aber was zum Henker war da los? Wir spitzten die Ohren und schauten durch unsere Optiken, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Die Lösung war so banal wie eindrucksvoll: Wie in einer Karawane strömten die Händler des Marktes aus allen Himmelsrichtungen zu den Ständen. Ihre Waren, darunter Stoffe, Holz, Bleche und Pappen – alles Dinge, die wir eher auf den Müll schmeißen würden –, hatten sie auf Eselskarren gepackt oder direkt den Tieren aufgeladen. Ein paar der Lastentiere waren so hoch bepackt, dass der Esel darunter fast nicht mehr zu sehen war. Kein Wunder, dass die Männer ihre Tiere lautstark anfeuerten. Einige der Esel nahmen das so ernst, dass sie sich mit ihren Karren sogar ein kleines Rennen lieferten!
    Wir fingen fast an laut zu lachen, als wir dieses ungewöhnliche Wagenrennen sahen. Die Esel hüpften wie die Eichhörnchen, und ihre langen grauen Ohren wippten dazu im Takt auf und ab. Ab jetzt nannten wir dieses allmorgendliche Schauspiel »Snedder Parade«, auf Deutsch die Eselparade. Wir weckten die anderen beiden und zeigten ihnen amüsiert die lustige Prozession. Auch sie mussten lächeln – besonders als einige Esel zur Begrüßung ihrer Artgenossen in lautes Brüllen ausbrachen. Es tat gut, nach den Ereignissen von gestern etwas so Lustiges zu sehen. Wir fühlten einen Teil der großen Anspannung abfallen. Gut gelaunt bereiteten wir unser Frühstück zu.
    Unser vorgeschobener Gefechtsstand, der mit vier Soldaten aus dem Kommando besetzt war, hatte inzwischen komplette Arbeitsbereitschaft hergestellt. Er befand sich direkt in der Stadt, auf dem Gelände einer Polizeistation, der »Kabul Garrison«. Bei solch heiklen Operationen verlagert man den Gefechtsstand so nahe wie möglich an den Ort des Geschehens heran, um im Bedarfsfall schnell und effektiv reagieren zu können, wenn ein Team Probleme hat. Deshalb ist so ein Gefechtsstand auch mobil und befindet sich in den meisten Fällen auf einem extra dafür hergerichteten Fahrzeug. An der Kabul Garrison hatten auch die deutschen Kameraden der Fallschirmjäger von der Luftlandebrigade 26 mit ihrem Gefechtsstand angedockt.
    Im Laufe des Tages wurde uns von dort gemeldet, dass auf Hamid Karzai, Präsident der Interimsregierung, am Morgen ein Attentat verübt worden war, bei dem er aber nicht zu Schaden gekommen war. Es sei zu einem Schusswechsel zwischen dem Attentäter und den Sicherheitskräften des Präsidenten gekommen, in deren Verlauf der Attentäter und ein Unbeteiligter getötet wurden. Diese Sicherheitskräfte waren ziviles Personal, sogenannte »Contractors«. Karzai und die Amerikaner hatten eine Firma aus den USA mit dem Schutz des Präsidenten betraut, weil deren Personal nicht in die Konflikte zwischen verschiedenen Ethnien und politischen Gruppierungen verstrickt war. Unsere anfänglich etwas bessere Stimmung erhielt dadurch wieder einen Dämpfer. Erst am nächsten Tag, am 7. September, sollten die Feierlichkeiten zu Ehren Massuds offiziell beginnen – und schon im Vorfeld hatte es zwei Anschläge gegeben.
    Wir hatten die begründete Sorge, dass die

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