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Endstation Kabul

Endstation Kabul

Titel: Endstation Kabul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Wohlgethan
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geflogen. Eine Geste des guten Willens gegenüber General Ahnan. Man musste also nur seinen Auftrag ernst nehmen und durchführen – und schon wurde man ausgeflogen? War das die Lehre aus diesem Vorfall? Eine Vorgehensweise, die allen, mit denen ich darüber sprach, nicht einleuchtete. Natürlich war diese Konsequenz wieder einmal der Diplomatie geschuldet. Die ganze Sache war nichts weiter als eine Kraftprobe und ein Testballon, wie weit man gehen konnte mit den ISAF-Truppen. Sollte dies öfter passieren, würde das bisschen Respekt, das wir uns im Land erarbeitet hatten, völlig untergraben. Zumindest dachten das viele Soldaten, mit denen ich redete und die fast täglich außerhalb des Camps zu tun hatten. Die ständigen Kompromisse bargen die Gefahr, dass man hier irgendwann von gewissen Leuten nicht mehr ernst genommen wurde. Wir hielten dieses Verhalten für mehr als gefährlich. Ein Soldat brachte es auf den Punkt, als er sagte: »Die Generäle des ersten und des zweiten Kontingents täten gut daran, sich eine Scheibe von General Ahnan abzuschneiden. Seine Operation war zwar gegen uns gerichtet, aber damit hat er zumindest Stärke und Durchsetzungswillen bewiesen« – was viele auf Seiten der Deutschen vermissten.
    Aber was konnten wir schon tun, als reine Schutztruppe? Wir hatten keine schweren Waffen, mit denen wir uns im absoluten Krisenfall hätten verteidigen können. Ein paar Wiesel, also Luftlandewaffenträger mit einer 20-mm-Bordmaschinenkanone oder den Panzerabwehrlenkflugkörpern TOW-2 bestückt, deren Bewaffnung und Panzerung noch nicht mal mit einem der in Afghanistan gängigen alten T-55-Panzer mithalten konnten – das war’s dann schon. Und in den anderen Kontingenten sah es nicht anders aus. Auch sie hatten nur leichtes Gerät dabei. Nichts, was wirklich zur Abschreckung dienen könnte. Auch die Möglichkeit, Luftunterstützung anzufordern, war mehr als mau.
    Bis heute dürfte sich an diesem Umstand nichts geändert haben, obwohl die Intensität der Konflikte in Afghanistan von Tag zu Tag zunimmt und auch für die ISAF-Truppen immer gefährlicher wird. Täglich gibt es neue Meldungen über Kämpfe in den Südprovinzen. Sogar der vergleichsweise ruhige Norden des Landes, wo die deutschen ISAF-Soldaten heute im Schwerpunkt eingesetzt sind, wird von Selbstmordanschlägen und Raketenangriffen erschüttert, bei denen es bereits Tote und Verletzte gab. Und auch für ausländische Zivilisten, die für westliche Firmen oder für NGOs arbeiten, wird es immer brenzliger, weil kriminelle Banden und die Taliban immer mehr auf dem Vormarsch sind. Die Entführung zweier deutscher Bauingenieure, von denen einer erschossen und der andere nach Monaten freigelassen wurde, und die aus einem Lokal entführte deutsche Entwicklungshelferin, die schnell vom afghanischen Geheimdienst befreit wurde, sind vermutlich nur der Anfang.
    Sechs Tornados als Aufklärer wurden entsandt – und selbst darüber wurde in Deutschland gestritten. Meine Überzeugung ist, dass man einen solchen Auslandseinsatz nicht aus Wunschdenken heraus kleinhalten kann. Wenn man Truppen zur Durchsetzung eines Mandats einsetzt, hat die militärische Führung verdammt noch mal die Pflicht, ihnen alle Möglichkeiten zu bieten, die sie zur eigenen Verteidigung oder Abschreckung benötigen. Tut man dies nicht, handelt man fahrlässig gegenüber den eingesetzten Soldaten und kommt seiner Fürsorgepflicht nicht nach. Diese Frauen und Männer leisten eine hervorragende Arbeit unter sehr schwierigen Bedingungen. Unterstützung, und zwar ideell wie materiell, ist da doch das Mindeste, was man verlangen kann!
    Der nächste Tag, der nächste Auftrag. Eine 48-Stunden-Patrouille in und um Kabul stand an. Während der Massud-Tage waren überdurchschnittlich viele Gewalttaten gegen die Bevölkerung aufgetreten. Die Zahl der Überfälle, Haus- und Ladeneinbrüche war in die Höhe geschnellt. Das lag wohl daran, dass die ISAF-Soldaten im gesamten Raum Kabul zur Absicherung der Feierlichkeiten eingeteilt gewesen waren und ihre normalen Aufgaben vernachlässigen mussten. Um den Kriminellen die Stirn zu bieten und wieder ruhige Verhältnisse zu erreichen, sollten wir nun verstärkt präsent sein. Da wir gerade erst eine Woche in einem Beobachtungspunkt für die Massud-Tage zugebracht hatten, waren wir alle ziemlich kaputt und nicht gerade begeistert über diesen neuen Auftrag. Aber natürlich erkannten wir die Notwendigkeit dieser Maßnahme. Leicht grummelnd machten

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