Endstation Kabul
vollgepackt mit Waren, die sich in Kisten, auf Ständern, alten Truhen und festgezurrt an Häuserwänden befanden, tat sich vor uns auf. Es war ein Bild wie aus einem orientalischen Basar: sehr farbenprächtig und üppig, ein sehr ungewohntes Bild in dieser sehr zerstörten und lehmfarbenen Stadt.
Bald stand das ganze Kommando, natürlich feilschend wie die Bekloppten, in diesem Hof. Ich schlenderte zwischen den Jungs und den Waren herum und blieb vor einer russischen Fallschirmjäger-Uhr stehen. Diese Armbanduhr, das war mir sofort klar, war ein echtes Unikat. Ein Blick auf den Preis bestätigte mir diese Vermutung. Ganz schön teuer! Das gute Stück sollte umgerechnet etwa 50 US-Dollar kosten. Für die Verhältnisse hier war das ein sehr großer Batzen Geld. Ich nahm das kostbare Stück in die Hand und begutachtete es. »Für Kommandeure« stand in kyrillischen Zeichen unter dem Fallschirmjägeremblem, übersetzte mir Mustafa den Schriftzug. Das Prachtexemplar hatte es mir angetan, aber den Preis fand ich ziemlich übertrieben. Natürlich hätte ich die 50 Dollar ohne mit der Wimper zu zucken hinlegen können, aber so lief die Sache hier nicht. Feilschen gehörte zum Einkaufen dazu, und wer es geschickt anstellte, konnte den Betrag auch ordentlich drücken. Ich war jedoch nie der Typ, der gut feilschen konnte, und war nicht in der Stimmung, stundenlang mit dem Verkäufer zu verhandeln.
Mit einem kleinen Seufzer legte ich die Uhr wieder beiseite und setzte meinen Rundgang fort, ohne allerdings fündig zu werden. Nach ungefähr zwei Stunden Basarflair und Shopping wurde das Zeichen für den Aufbruch gegeben. Meine Kameraden strömten beladen und laut schwatzend zu den Fahrzeugen.
»Na Achim, hast du die Uhr gekauft, um die du so lange herumgeschlichen bist?«, fragte mich Andrik in diesem Getümmel. Ich schüttelte den Kopf: »Nee, war viel zu teuer.« Er nickte und sagte: »Na, dann vielleicht das nächste Mal!«, und so fuhren wir los. Für alle war es ein schöner und entspannender Tag, den wir alle bitter nötig hatten.
Abends im Camp kam unser Sprachmittler Mustafa sehr aufgeregt auf uns zu. Wir fragten, was los sei, und er begann zu berichten: »Meinem Vater geht es sehr schlecht. Er liegt zu Hause und kann sich kaum bewegen vor Schmerzen. Könnt ihr ihn nicht zur Untersuchung ins ISAF-Lazarett bringen?« Puh, das war ein heißes Eisen. Sollte sich das herumsprechen, könnten wir und speziell der Sanitäts-Bereich uns vor Anfragen aus der Bevölkerung nicht mehr retten.
Jedoch handelte es sich hier um einen Spezialfall. Mustafa machte erstens einen guten Job bei uns. Und zweitens hatte ich schon geraume Zeit das Gefühl, dass er einen heiklen Nebenjob hatte. Erst etwas später wurde mir unmissverständlich klar: Mustafa arbeitete tatsächlich für den afghanischen Geheimdienst, den NDS. Das kam heraus, als ich in das Büro des MAD im Stabsgebäude gerufen wurde und mir einige Fotos anschauen sollte, auf denen mutmaßliche Mitarbeiter des NDS abgebildet waren. Ich schaute diesen Ordner mit Dutzenden von Männern aller Altersstufen durch und erkannte auf einem der Fotos unseren Sprachmittler, Mustafa. Das Bild war schon etwas älter, aber wenn man tagtäglich mit ihm zu tun hatte, konnte man ihn erkennen. Weiß Gott, wo die MADler diese Bilder aufgetrieben hatten. Nun war ich in einem Zwiespalt.
Noch am selben Abend ging ich zu Mustafa und sprach ihn auf die Sache mit dem NDS an. Er erbleichte und druckste herum. Doch nach und nach rückte er mit der Wahrheit heraus. Ich versprach ihm, alles für mich zu behalten – unter einer Bedingung: Ab jetzt hätten seine Informationen für uns die gleiche Qualität wie die für seinen zweiten Arbeitgeber, den NDS. Erleichtert stimmte er zu. Nun hatten wir eine wirklich gute, umfassend informierte Quelle zur Verfügung. Natürlich passte ich im Gegenzug auf, dass er nicht zu viel von unseren Operationen und Planungen mitbekam. Als Mustafa nun mit der Leidensgeschichte seines Vaters vor uns stand, waren wir einer Zwickmühle. War die Loyalität gegenüber Mustafa wichtiger als gegenüber unseren Leuten vom Lazarett? Wir wägten alle Gründe gegeneinander ab und entschieden uns zu helfen. Mustafa hatte uns schon zum damaligen Zeitpunkt öfter sehr gute und detaillierte Informationen zukommen lassen, die unser Leben vereinfacht hatten. Jetzt wollten wir ihm und seinem Vater helfen.
Also stieg das komplette Team 4.11 in ein Fahrzeug und fuhr zu Mustafas Vater. Der alte
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